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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational zu sein als auch falsch zu liegen." Unser Werkzeug eines Chief Behavioral Officers heute:
Wie man mit Verhaltensökonomie die Herzen erobert
Erlauben Sie mir, Ihnen eine Geschichte zu erzählen, die das komplexe Verhältnis zwischen Verhaltensökonomie und Kundenbindung illustriert. Es geht um eine kleine Bäckerei namens "Süße Versuchung", die vor einigen Jahren eröffnete. Die Backwaren waren unübertroffen, und dennoch sahen sich die Besitzer mit einer stetig abnehmenden Stammkundschaft konfrontiert.
An einem tristen Donnerstagmorgen, als der Regen unaufhörlich gegen die Fensterscheiben prasselte, beschlossen diese, ihren Kunden ein besonderes Angebot zu machen: Für jeden Einkauf über zehn Euro würden sie einen Stempel erhalten und nach dem zehnten Stempel gab es ein kostenloses Gebäck ihrer Wahl. Eine einfache Idee, die auf dem Prinzip der Belohnung basierte, doch die Auswirkungen waren bemerkenswert.
In den folgenden Wochen beobachteten sie eine deutliche Zunahme der Besucherzahlen. Kunden, die zuvor nur sporadisch vorbeikamen, wurden zu regelmäßigen Gästen. Es war, als hätten wir eine verborgene Schatzkarte gefunden, die uns direkt zu den Herzen und Gewohnheiten unserer Kunden führte. Die Bäckerei wurde zum geselligen Treffpunkt in der Nachbarschaft.
Interessanterweise bemerkten wir auch, dass die Kunden dazu neigten, mehr zu kaufen, als sie ursprünglich geplant hatten, nur um den nächsten Stempel zu erhalten. Dieses Verhalten spiegelte einen tiefgreifenden psychologischen Effekt wider, der in der Verhaltensökonomie als "Endowed Progress Effect" bekannt ist. Durch das scheinbare Voranschreiten auf dem Weg zu einem Ziel fühlen sich Menschen motivierter, dieses zu erreichen.
Als die Bäcker eines Tages hinter der Theke standen und einen ihrer Stammkunden beobachteten, der stolz seine vollgestempelte Karte zeigte, wurde klar, wie mächtig die Prinzipien der Verhaltensökonomie sein können, um eine dauerhafte Kundenbindung zu schaffen. Es war nicht die Aussicht auf eine kostenlose Süßigkeit, die Kunden zurückbrachte, sondern das Gefühl, einem Ziel näher zu kommen.
Wie funktioniert das? Science, baby!
Die Wissenschaft hinter der Verhaltensökonomie und Kundenbindung ist faszinierend. Der Ansatz in der Bäckerei "Süße Versuchung" nutzte zwei Schlüsselkonzepte: den "Endowed Progress Effect" und das Prinzip der sozialen Bewährtheit. Der "Endowed Progress Effect" besagt, dass Menschen wahrscheinlicher ein Ziel verfolgen oder eine Aufgabe abschließen, wenn sie den Eindruck haben, bereits Fortschritte gemacht zu haben. Indem sie den Kunden Stempelkarten gaben, auf denen bereits der erste Stempel als "kostenloser Fortschritt" markiert war, fühlten sie sich dem Ziel einer kostenlosen Leckerei näher. Dies erhöhte ihre Motivation, weiterzumachen und ihre Bindung an unsere Bäckerei zu stärken.
Darüber hinaus spielt die soziale Bewährtheit eine entscheidende Rolle bei der Kundenbindung. Menschen orientieren sich oft am Verhalten anderer, um Entscheidungen in unsicheren Situationen zu treffen. Als die Bäckerei zum Treffpunkt wurde, sahen neue Kunden, wie beliebt sie bei Stammkunden war, was ihre Wahrnehmung unserer Qualität und des Wertes unserer Angebote positiv beeinflusste.
Kleiner Einwurf: Natürlich ist Ihnen beim Lesen klar geworden, dass wir hier von einem ganz simplen Belohnungssystem reden, wie es mittlerweile fast überall gängig ist. Daher muss man auch sagen, dass eben gerade wegen seines Erfolges nun mittlerweile fast überall dieses System eingesetzt wird, was es wiederum zur Normalität werden lässt.
Mittlerweile gehört es also schon fast zur guten Sitte, solch ein Kundenbelohnungssystem (im Massenmarkt) anzubieten. Aber Vorsicht: das bedeutet auch, dass wenn man es nicht hat, potenzielle Kunden verwundert sind, aber nur weil es dann da ist, sind eben diese Kunden auch nicht überschwänglich begeistert.
Kleine, aber einfache Idee zu Verbesserung dieses Standardwerkzeugs: Anstatt mit einer Zehnerkarte mit einem Stempel zu beginnen (also noch 9 Stempel bis zum Goodie), beginnen Sie doch einfach mit einer 12 Karte und 3 Stempeln. Der Kunde benötigt immer noch 9 Stempel bis zum Goodie, durch die 3 Stempel haben Sie aber gerade auf die einfachste Art und Weise den “Endowed Progress Effect” verstärkt.
Das ist Verhaltenspsychologie angewandt.
Warum das wichtig ist?
Die Psychologie hinter der Verhaltensökonomie und Kundenbindung ist nicht nur für Unternehmen von Bedeutung. Sie bietet tiefe Einblicke in menschliches Verhalten und Entscheidungsfindung. Indem wir verstehen, wie Belohnungssysteme und soziale Bewährtheit unsere Präferenzen und Entscheidungen formen, können wir nicht nur bessere Geschäftsstrategien entwickeln, sondern auch unser eigenes Verhalten bewusster gestalten.
In einer Welt, in der die Aufmerksamkeit der Konsumenten zunehmend fragmentiert ist und die Aufmerksamkeit schwer zu gewinnen und noch schwerer zu halten ist, bieten die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie eine leistungsstarke Strategie, um eine tiefere Verbindung zu Kunden aufzubauen. Sie erlauben es uns, über traditionelle Marketingtechniken hinauszugehen und echte, bedeutungsvolle Beziehungen zu schaffen, die auf Verständnis und gegenseitigem Nutzen basieren.
Und jetzt?
Mit dem Wissen um die Prinzipien der Verhaltensökonomie können Sie beginnen, Ihre Kundenbeziehungen neu zu gestalten. Überlegen Sie, wie Sie Fortschrittsillusionen schaffen und soziale Bewährtheit in Ihrem Geschäft nutzen können, um nicht nur einmalige Verkäufe, sondern sich wiederholende Transaktionen zu fördern. Der Schlüssel liegt darin, authentische Werte zu schaffen, die sowohl Ihre Marke als auch Ihre Kunden bereichern.
Eines ist noch wichtig dazu zu bemerken: Bei all dem Erfolg der Belohnungssysteme, verwechseln Sie ein Belohnungssystem bitte nicht mit einem Loyalitätsprogramm. Auch wenn hier die Begriffe meist austauschbar füreinander genutzt werden, entsteht - erwiesenermaßen - Loyalität über den langfristigen Fortschritt, den man gemeinsam macht und nicht über ein “Geschenk am Ende der Ziellinie”. - Roman Rackwitz
Unterm Strich
Verhaltensökonomie und Kundenbindung sind eng miteinander verknüpft. Der Kern des Wissens: Durch das Verständnis menschlichen Verhaltens können wir Strategien entwickeln, die herausstechen. Eine Checkliste für den Moment einer anstehenden Entscheidung könnte so aussehen:
Biete einen sichtbaren Fortschritt.
Schaffe ein Gefühl der Zugehörigkeit.
Nutze soziale Beweise.
Belohne treue Kunden (effektiver sogar überraschend).
Sei authentisch in deinem Angebot.
In einer zehnteiligen Serie innerhalb dieses CBO Nugget Newsletters beleuchten wir die transformative Kraft der Verhaltensökonomie in verschiedenen Geschäftsbereichen. Von der Produktentwicklung bis zur Ethik, diese Serie zielt darauf ab, ein tieferes Verständnis dafür zu schaffen, wie verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse angewendet werden können, um Entscheidungen, Strategien und Prozesse in Unternehmen zu optimieren. Jeder Beitrag dieser Serie widmet sich einem spezifischen Thema, um zu illustrieren, wie Verhaltensökonomie praktisch angewendet werden kann, um bessere Ergebnisse zu erzielen, die Kundenbindung zu stärken, Innovationen zu fördern und letztendlich einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft zu haben. Begleiten Sie uns auf dieser spannenden Reise, während wir erkunden, wie ein tiefes Verständnis menschlichen Verhaltens die Grundlage für erfolgreichere und ethisch verantwortungsvollere Geschäftspraktiken bildet.
Hier alle 10 Themen des Sprints innerhalb des CBO Nugget:
Die Rolle der Verhaltensökonomie in der Produktentwicklung
Verhaltensökonomie im Marketing
Entscheidungsarchitektur in der Unternehmensführung
Verhaltensökonomie und Kundenbindung (sie lesen gerade diesen Nugget)
Bias-Aufklärung und Entscheidungsfindung
Innovationsförderung durch Verhaltensökonomie
Nachhaltigkeit und Verhaltensökonomie
Verhaltensökonomie in der Preisgestaltung
Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz
Ethik und Verhaltensökonomie
Chief Behavioral Officer gesucht
Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
Wenn Sie uns Tipps oder Feedback senden möchten, dann schicken Sie uns eine E-Mail an redaktion@cbo.news. Vielen Dank.