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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
Die Falle der moralischen ‘Reinheit’
Es war ein sonniger Dienstagmorgen, als ich beschloss, mein Auto stehen zu lassen und stattdessen mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Ich fühlte mich gut dabei – umweltbewusst, gesundheitsfördernd und stolz darauf, meinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. In der Mittagspause, als ich an der Kantine vorbeiging, fiel mein Blick auf die Auswahl an Salaten und veganen Gerichten. Doch plötzlich schwenkte mein Blick zu den verlockenden Pommes und dem saftigen Cheeseburger. "Ich habe es mir verdient", dachte ich, "nachdem ich heute so umweltfreundlich zur Arbeit gekommen bin."
Dieser Moment des Innehaltens war mein persönliches Beispiel für den Moral Licensing Bias. Obwohl ich eine positive, moralische Handlung vollzogen hatte, nutzte ich diese als Freibrief, um mir eine weniger gesunde Option zu gönnen. Dieser innere Dialog, dieses Abwägen zwischen Gutem und weniger Gutem, ist der Kern des Moral Licensing Bias.
Am Nachmittag, als ich eine E-Mail von einer gemeinnützigen Organisation erhielt, die um eine Spende bat, fühlte ich mich erneut mit diesem inneren Konflikt konfrontiert. "Ich habe doch erst gestern an eine andere Organisation gespendet", rechtfertigte ich mich selbst und schloss die E-Mail unbeantwortet. Mein vorheriges altruistisches Verhalten diente als Ausrede, um heute nicht erneut handeln zu müssen.
Als der Arbeitstag zu Ende ging, stand ich vor dem Supermarktregal und entschied mich für die umweltfreundlichere, aber teurere Option. Hier wiederholte sich das Muster: "Ich habe heute schon genug Gutes getan", sagte ich mir und griff stattdessen zu den günstigeren, weniger nachhaltigen Produkten. Es war faszinierend zu beobachten, wie meine eigenen Entscheidungen ständig von einem inneren Balanceakt zwischen moralischen Handlungen und der Erlaubnis zur Nachlässigkeit geprägt waren.
Der Moral Licensing Bias ist ein subtiler, aber kraftvoller Einfluss, der unsere Entscheidungen tagtäglich beeinflusst. Durch das Bewusstsein über dieses Phänomen können wir besser verstehen, warum wir manchmal in scheinbar widersprüchlicher Weise handeln und wie wir diesen Einfluss durchbrechen können, um konsequentere Entscheidungen zu treffen.CBO Nugget ist eine von Lesern unterstützte Publikation. Möchten Sie gerne neue Posts erhalten und meine Arbeit unterstützen? Dann wäre vielleicht ein Paid-Abonnement etwas für Sie.
Wie funktioniert das? Science, baby!
Die Wissenschaft dahinter ist faszinierend. Moral Licensing Bias beschreibt das Phänomen, dass eine positive moralische Handlung uns das Gefühl gibt, eine gewisse "Lizenz" zu haben, anschließend weniger moralisch zu handeln. Dieses Verhalten wird durch mehrere psychologische Theorien erklärt, darunter das Selbstbild als guter Mensch und die kognitive Dissonanz. Studien zeigen, dass Menschen, die eine moralische Handlung ausgeführt haben, eher geneigt sind, sich danach unmoralisch oder weniger streng zu verhalten, weil sie das Gefühl haben, genug "Gutes" getan zu haben, um sich etwas "Schlechtes" zu erlauben.
Forschungsergebnisse von Merritt, Effron und Monin (2010) legen nahe, dass dieser Effekt besonders stark auftritt, wenn die initiale moralische Handlung sehr bewusst und absichtlich ausgeführt wurde. Dies kann in Bereichen wie Konsumverhalten, ethischem Kaufverhalten und sogar im sozialen Verhalten beobachtet werden. Indem wir uns dieser kognitiven Verzerrung bewusst werden, können wir Strategien entwickeln, um ihr entgegenzuwirken und konsequentere Entscheidungen zu treffen.
Warum das wichtig ist
Der Moral Licensing Bias ist besonders wichtig, weil er zeigt, wie selbst unsere besten Absichten uns auf subtile Weise in die Irre führen können. Die Psychologie hinter diesem Effekt basiert auf dem Bedürfnis, unsere eigene Identität als moralisch und gut zu erhalten. Dies kann jedoch dazu führen, dass wir unsere Standards senken und inkonsistente Entscheidungen treffen.
Es ist wichtig, diesen Effekt zu verstehen, weil er unser Verhalten in vielen Bereichen beeinflusst – von Konsumentscheidungen über Umweltverhalten bis hin zu persönlichen Beziehungen. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir bewusster handeln und vermeiden, dass unsere guten Taten zu einer Lizenz für schlechtes Verhalten werden. Sich mit dem Moral Licensing Bias auseinanderzusetzen, bedeutet, einen Schritt näher daran zu kommen, wirklich konsequent und integer zu handeln.
Und jetzt?
Heute ist ein guter Tag, um den Moral Licensing Bias bewusst zu hinterfragen. Versuchen Sie, sich bei Entscheidungen zu ertappen, bei denen Sie sich selbst belohnen möchten, weil Sie zuvor etwas Gutes getan haben. Erstellen Sie eine Liste mit langfristigen Zielen und Werten, die Ihnen wichtig sind, und prüfen Sie, ob Ihre heutigen Handlungen diesen Werten entsprechen. Eine andere Möglichkeit ist, einen Vertrauten oder Freund um Feedback zu bitten, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie sich "belohnen" möchten. Manchmal hilft eine externe Perspektive, um inkonsistentes Verhalten zu erkennen.
Unterm Strich
Zusammengefasst: Der Moral Licensing Bias kann uns dazu bringen, inkonsistente und unethische Entscheidungen zu treffen, nachdem wir zuvor moralisch gehandelt haben.
Die einzigen zwei Fragen, die Sie sich zur Vermeidung des Moral Licensing Bias stellen müssen:
Reflektieren Sie, ob Sie sich "belohnen" möchten, weil Sie vorher Gutes getan haben.
Erinnern Sie sich daran, dass jede Handlung zählt und dass gute Taten keine Lizenz für schlechte sind.
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