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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
DER fundamentale Attributionsfehler
Da hatte man schon einen schlechten Tag und dann kommt auch noch so einer daher. Erst die Gleisstörung und der Zug fällt aus, dank Autokorrektur ging die Mail an den falschen Kontakt, und jetzt schaut mich auch noch der cholerische Kollege so blöd an. Und helfen kann der auch nicht! Super unzuverlässig: schließlich schickt der Mails an falsche Kontakte, kommt zu spät und macht auch noch so ein Gesicht. Warte mal … ist das mein Spiegelbild?
Um was es geht
Man könnte meinen, ein solcher Titel gebührt dem Missverständnis, die Menschheit wäre das Zentrum des Universums. Ist es aber nicht ganz. Attribution heißt grundsätzlich, dass etwas einer Sache zugeschrieben wird. Käse kann zum Beispiel als Attribut haben, dass er stinkt, ein Ball kann rot sein, ein Mensch extrovertiert oder eine Situation gefährlich. Der fundamentale Attributionsfehler ist der besonders für die Sozialpsychologie bedeutsame Effekt, dass wir die Einflüsse der Persönlichkeit auf Verhalten als höher einschätzen als sie eigentlich sind. Insbesondere die Einflüsse der Situation unterschätzen wir: noch viel erstaunlicher, je nachdem, ob ein Ereignis gut oder schlecht ist und ob es uns oder jemand anderen betrifft, unterscheidet sich dieses „Attribuieren“.
Wenn beispielsweise etwas schiefgeht, zeigt sich dieser Unterschied besonders: bei anderen denken wir sehr schnell, etwas liegt eben an der Art wie sie sind. Perfektionistisch, hastig, grob, ehrgeizig, fröhlich. Alles liegt eben an deren Persönlichkeit. Und das, obwohl uns nur eine Momentaufnahme vorliegt. Bei uns selbst achten wir viel mehr auf den Einfluss der momentanen Situation, der Umstände. Wenn etwas schieflief, lag es am Wetter, Material, Tag, Kollegen, Chef, Kundin, Planeten oder dem falschen Essen.
Einmal schreiben wir es internal, eben der Persönlichkeit zu – wie jemand eben so ist. Und das andere Mal eher external, also den Umständen – etwas außerhalb unseres Einflusses.
Warum das so ist? Eine Theorie vermutet, es geht um den Erhalt des Selbstwerts, daher wird dieser Teil auch „self-serving bias“ (selbstwertdienliche Attribution) genannt. Andere Theorien gehen von kultureller Prägung oder Überbewertung der handelnden Person aus (ein paar finden Sie hier bei Wiki).
So oder so geben diese Zuschreibungen eine Erklärung, wieso die Welt ist wie sie ist.
Warum das wichtig ist
Wir alle handeln aus uns selbst heraus UND den Umständen entsprechend. Dass wir die Tendenz haben, den Charakter, der anderen als einflussreicher zu bewerten als er eigentlich ist, ist irgendwie ja auch eine schöne Sache.
Zuschreibungen sind ein zweischneidiges Schwert. Wenn man gute Eigenschaften bekommt wunderbar, ist der Ruf allerdings einmal ruiniert, verselbstständigt sich etwas im Zusammenwirken von Personen.
Daher ist es sinnvoll, auch situative Einflüsse in den Blick zu nehmen. Gerade, wenn etwas mal schiefläuft.
Check-ins: Gerade in der Remote Zeit haben wir es gelernt: dieser Small Talk vor dem Meeting, in der Kaffeeküche, auf dem Flur: der ist essenziell für gute Begegnung. Egal ob mit dem Kunden, den Kolleg:innen oder wildfremden Noch-Nicht-Freunden. Nutzen Sie diese Momente und stellen Sie sie aktiv her: um Einflüsse von außen, aus der Situation vorher oder einfach den alltäglichen Problemen besser einbeziehen zu können.
Ursachenforschung: ein paar Psycholog:innen (Kelley, Seligmann, Heckhausen & Co.) haben verschiedene Modelle erdacht, um „besser“ zu attribuieren. Wenn Sie sich versucht sehen, die Vertrieblerin als faul, den Personaler als kompliziert oder das Entwicklertier als scheu zu markieren, stellen Sie sich zum Beispiel folgende Fragen:
Ausnahme: Ist das gerade zum ersten Mal passiert oder passiert das häufiger?
Stimmung: Wie geht es der Person? Habe ich nachgefragt was heute alles passiert ist, dass sie sich so verhält?
Kontext: Würden sich andere Leute in so einer Situation genauso verhalten? Gibt es zum Beispiel rechtliche Vorgaben oder unrealistische Zielvorgaben?
Wirksamkeit: Habe ich eine Idee was die Person anders machen kann? Gibt es etwas das in ihrer Kontrolle liegt?
Alternative Erklärungen: Wie kann ich mir es noch erklären? Was ist die Absicht hinter dem was da passiert?
Touchpoint statt Persona: Im Marketing wird oft mit sogenannten Personas gearbeitet: also dem möglichen Charakter der kaufenden Person. Ergänzend lohnt sich der Fokus auf situative Einflüsse. Statt sich zu fragen, welche Charakterzüge als Coachingkunde jemand in der Midlife-Crisis hat, macht es vielleicht auch Sinn zu fragen, wo ich diese Person im Alltag treffe und wann sie sich mit den eigenen Themen auseinandersetzt: der Weg zur Arbeit im Auto, beim Elternabend, im Bäcker Sonntags früh. Wo begegnen sich Ihr Kunde und Ihr Produkt/Dienstleistung? Was sind die Touchpoints? Welche Situationen und welche Emotionen sind dann gerade vorherrschend? Und wie können wir sie positiv gestalten?
Unterm Strich
Wir können die Dinge, die passieren, auf mehr als eine Weise erklären: und ob wir es der Persönlichkeit oder der Situation zuschreiben, macht einen Unterschied. Statt „Schönen Tag, (du Arschloch)“ sollten wir einfach üben häufiger „Jeder hat mal ’nen schlechten Tag, jeder Mensch ist wunderbar!“ zu denken.
Chief Behavioral Officer gesucht
Haben sie auch „schwarze Schafe“ im Team? Oder immer wieder murrende Kund:innen? Wie könnten Sie deren Verhalten noch erklären? Welche Umstände und Situationen können sie vielleicht sogar verändern? Ich wünsche viel Neugierde bei der Ursachenforschung!
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
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