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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
Mere-Exposure - bloßer Kontakt
Die Frau am Coffee-to-Go Stand lächelt mich immer an. Und ich sie auch. Und der Kaffee ist irgendwie eben mein Kaffee. Nur meinte da neulich jemand, er versteht nicht, wie ich die Drecksbrühe eigentlich runterkrieg…
Kann es sein, dass es einen Grund gibt, wieso mir diese kleinen Alltäglichkeiten besser gefallen als die Dinge, die ich noch nicht kenne? Wie erklärt sich das und wie kann man das nutzen?
Um was es geht
Allein etwas (an sich neutrales) mehrfach (auch unbewusst) wahrzunehmen, lässt es uns als besser (, wahrer, schöner) bewerten. Mere-Exposure oder Effekt des bloßen Kontakts wird das genannt.
Wie zeigt sich dieser Effekt?
Freundschaften im Studium haben einen Zusammenhang mit der Nähe der Schlafzimmer. Festinger, Schachter und Beck haben das 1950 untersucht und waren erstaunt: allein die zufällig zugeordnete Nähe im Wohnheim ließ Vorhersagen zur Beziehungsqualität der Bewohner:innen zu (hier findet Ihr die klassische Studie).
International tätige Investoren und Finanzexperten investieren häufiger in Firmen, die in ihrem Land lokalisiert und bekannt sind. Dabei ist ein Streuen des Risikos auch über Ländergrenzen hinweg eigentlich nur logisch. Eine Erklärung dafür ist Mere-Exposure (Hier die Studie).
Die altbekannte Bannerwerbung im Internet funktioniert: allein das mehrmalige (sogar unbewusste) Wahrnehmen von Produkten führt zu positiverer Einstellung bis hin zum Kaufverhalten. (Hier wurde das mit Kameras in Bannerwerbung getestet).
Und wie erklärt man sich das?
Zajonc ging davon aus, dass Neues Stress erzeugt: Es könnte ja ein Tiger oder ein Vertriebler oder sonst eine Gefahr sein. Man merkt sich, dass ja nichts Schlimmes passiert ist und hat beim nächsten Treffen also „weniger Angst“. Und sollte die erste Erfahrung negativ sein: bleibt sie negativ. Beispielsweise die neue Kollegin – erstmal ist man skeptisch. Ist der erste Kontakt dann schwierig, bleibt die Beziehung auch kalt.
Folgetheorien nahmen noch einen zweiten Faktor an: Gewöhnung bis zur Langeweile. Je öfter man etwas sieht, desto uninteressanter wird es. Auch das zeigt sich: Das „lieber mögen“ ebbt mit der Zeit auch wieder ab (wenn auch keine Langeweile entsteht). Sie kennen das von der ersten Verliebtheit oder der Lieblingsserie.
Eine dritte Theorie geht von der Leichtigkeit aus, mit der wir etwas im Hirn verarbeiten: erkennen wir es wieder, ist es leichter zu erfassen und zu verorten: entsprechend sind Dinge, die auch unseren Gewohnheiten ähnlich sind, schon entsprechend positiver besetzt. Haben sie zum Beispiel ein Lieblingsgenre? In Musik, Buch oder Film? Auch hier sprechen Details für und gegen die Theorie.
Eine Meta-Studie nahm sich diese zu Herzen und hat eben wie es in Meta-Studien üblich ist, Effekte differenziert, auf den Publication Bias geachtet und am Ende festgestellt: Keine kann das alles richtig perfekt erklären. Spannend bleibt es trotzdem (Hier die Meta-Studie).
Warum das wichtig ist
Wenn Mere-Exposure - also der bloße Kontakt - ausreicht, um positiver dranzustehen, steckt auch hier Wertschöpfung und potenzielles Fehlurteil.
Wie also können wir als CBOs diesen Effekt nutzen?
Wen wir hin und wieder einfach Treffen… Mere-Exposure ist vielleicht ein Grund für die grundlegende Qualität an sozialen Bindungen: auch in der Organisation und Teams hilft es, sich gelegentlich einfach zu sehen und zu treffen. Die Wirkung? Man lernt sich besser kennen, hat eine positive Grundstimmung und vertraut den Personen auch eher. Das gilt natürlich auch für den Kontakt mit Kund:innen (ohne ihnen etwas verkaufen zu wollen), in professionellen Netzwerken und schlicht der Frau am Kaffee-Stand. (Daher ist das sogar ein Tipp bei angehender Depression).
Die „Rule of 7“ im Marketing: (nicht zu verwechseln mit der magischen 7 +/-2 Regel) für Marketeers ein alter Hut: es braucht (angeblich) sieben Kontaktpunkte bis es zum Kauf kommt. Also eine Daumenregel für Mere-Exposure: Aus der Verhaltensforschung kommt hinzu: Achten Sie auf ein positives Erlebnis beim Erstkontakt und lassen Sie es beizeiten auch wieder gut sein. (Hier finden Sie Details zum Marketing-Aspekt ). Das gilt übrigens auch für internes Marketing seiner selbst und für Projekte.
Bewusst neues ausprobieren. Jeder hat seine Gewohnheiten: Was können Sie einmal anders machen? Welches Gericht auf der Karte haben Sie noch nie probiert? Oder welches neues Produkt zugunsten eines gewohnten ignoriert? Welchen alternativen Zulieferer könnten Sie einmal anfragen? Und welchen Prozessschritt könnten Sie auch mal anders machen?
Entwickeln Sie eine Gewohnheit von „das haben wir schon immer so gemacht“ hin zu „da probieren wir immer mal wieder Neues aus“.
Unterm Strich
Ich habe mal statt des Kaffees eine heiße, weiße Schokolade am Coffee-to-Go Stand gekauft. Es war ein wunderbares Erlebnis und tatsächlich viel besser als die schwarze Brühe. Vielleicht gehe ich auch einmal einen neuen Weg und entdecke neue Köstlichkeiten und einen neuen, lächelnden Verkäufer.
Chief Behavioral Officer gesucht
Welche Gewohnheiten prägen Ihren Alltag? Gibt es Personen, Prozesse und Produkte, die in Ihrer Organisation schon lange kein Update bekommen haben? Wie könnten Sie dort neues ausprobieren? Und wie schaffen Sie es immer mal wieder in der Wahrnehmung von Kontakten innerhalb und außerhalb ihrer Firma aufzutauchen?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
Wenn Sie uns Tipps oder Feedback senden möchten, dann schicken Sie uns eine E-Mail an redaktion@cbo.news. Vielen Dank.