Einfache Antworten sind (oft) ein Falle.
Ein Schlüssel auch zur aktuellen Krise in der Kommunikation für Gesellschaften?
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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational zu sein als auch falsch zu liegen." Unser Werkzeug eines Chief Behavioral Officers heute:
Root Simplicity
Sie stehen in einem modernen Konferenzraum, umgeben von einer Gruppe aufmerksamer Zuhörer. Ihr Auftrag: zwei Lösungen für ein komplexes Problem präsentieren. Die erste Lösung liegt auf der Hand, sie ist einfach und einleuchtend, doch Sie spüren, dass sie nur die Oberfläche des eigentlichen Problems kratzt. Die zweite Lösung hingegen ist wie ein tiefes, unerforschtes Gewässer – komplex, durchdacht und korrekt. Die Frage, die Sie umtreibt, ist, wie Sie Ihr Publikum davon überzeugen können, dass die komplexere Antwort die richtige ist, obwohl die Einfachheit der ersten Lösung so verlockend scheint.
Die Luft im Raum ist gespannt, als Sie beginnen, die einfache Lösung zu präsentieren. Sie ist schnell erklärt, klingt überzeugend und wird von den Zuhörern mit zustimmendem Nicken aufgenommen. Doch in Ihrem Inneren wissen Sie, dass wichtige Nuancen des Problems ignoriert werden. Als Sie zur komplexeren Lösung übergehen, spüren Sie, wie die Aufmerksamkeit Ihrer Zuhörer schwindet. Die Erklärungen sind umfangreicher, die Geduld wird gefordert.
Sie fühlen sich, als wären Sie in einem Roman von Dan Brown – inmitten eines Rätsels, das gelöst werden muss. Die Herausforderung: die 'Root Simplicity', die menschliche Neigung, einfache Antworten zu bevorzugen, selbst wenn sie falsch sind. Es ist, als müssten Sie einen verschlüsselten Code knacken, um Ihre Zuhörer von der Wahrheit hinter der Komplexität zu überzeugen.
Sie nehmen sich einen Moment, blicken in die Runde und entscheiden sich für einen mutigen Schritt. Sie beginnen, eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte, die die Komplexität des Problems in einem neuen Licht darstellt. Sie sprechen von verborgenen Zusammenhängen, von den Schichten der Wahrheit, die nur durch gründliche Analyse enthüllt werden können. Ihre Worte sind wie Pinselstriche auf einer Leinwand, die allmählich ein klares Bild formen.
Langsam, aber sicher sehen Sie, wie sich die Gesichter Ihrer Zuhörer verändern. Skepsis weicht dem Verständnis, Ungeduld der Neugier. Sie erkennen, dass Sie es geschafft haben, die Falle der 'Root Simplicity' zu durchbrechen. Ihre Zuhörer öffnen sich für die komplexere, aber korrekte Lösung.
Als die Präsentation endet, wissen Sie, dass Sie mehr als nur eine Produktdemonstration gegeben haben. Sie haben eine Lektion in kritischem Denken und in der Anerkennung der Tiefe hinter der scheinbaren Einfachheit erteilt. Sie haben Ihre Zuhörer dazu gebracht, über den Tellerrand hinauszublicken und die Wahrheit in all ihrer Komplexität zu umarmen.
Wie funktioniert das? Science, baby!
Warum zieht uns die Einfachheit so an? Die Antwort liegt in unserer kognitiven Verarbeitung. Forschungen in der kognitiven Psychologie zeigen, dass unser Gehirn dazu neigt, Informationen zu vereinfachen, um Entscheidungen schneller treffen zu können. Dieser Mechanismus hilft uns im Alltag, kann aber in komplexen Situationen irreführend sein.
Die Herausforderung besteht darin, diese kognitive Neigung zu erkennen und zu überwinden. Es geht darum, den mentalen Aufwand, den komplexere Informationen erfordern, zu akzeptieren und zu bewältigen. Hier spielt die Fähigkeit zur kritischen Reflexion und zum tieferen Verständnis eine entscheidende Rolle.
Warum das wichtig ist?
Der Buchautor Henning Beck schreibt dazu:
“Dieses Prinzip nennt sich „root simplicity“ – von allen Erklärungen sollte man diejenige bevorzugen, die mit den wenigsten Grundannahmen auskommt.
🦇 Man könnte zum Beispiel davon ausgehen, dass sich vor gut vier Jahren in Fledermäusen ein neues Virus entwickelte, das dann irgendwie auf Schuppentiere übersprang, sich dort mit anderen Virusvarianten vermischte, um dann auf Menschen überzuspringen und zufälligerweise plötzlich besonders vermehrungsfähig war.
🔬 Ein paar viele Zufälle, könnte man auch sagen, und behaupten, dass das Virus in einem Hochsicherheitslabor entwickelt und durch einen unglücklichen Umstand ausgebüxt ist.
Welche Erklärung finden Sie griffiger? Die meisten Menschen greifen zur zweiten Variante, weil sie weniger Annahmen voraussetzt.
🧬 Deswegen finden Menschen alles schön, was besonders einfach ist. Die Evolutionstheorie kommt zum Beispiel mit nur drei Grundannahmen aus.
Allerdings ist das für 40 % der US-Amerikaner immer noch zu viel. Eine Gallup-Studie fand 2019 heraus, dass diese lieber glauben, der Mensch sei in seiner heutigen Form von Gott geschaffen wurde.
Das ist dasselbe Land, das (Stand heute) über 40 % aller Nobelpreise abgestaubt hat.
Fragen Sie mich nicht, wie das zusammenpasst. Bestimmt gibt es aber eine einfache Erklärung dafür.
Jahrtausendelang hat man mit der „einen Ursache für alles“ viel Macht ausüben können (die Kirche nämlich). Heute rühmen wir uns, moderner und aufgeklärter zu sein, fallen aber auf die gleichen Denkmuster rein: Wir suchen nach einfachen Gründen – als könnten wir den einen Knoten durchschlagen, damit alles klappt.
🚉 Doch das stimmt so gut wie nie. Viele Probleme sind komplex und damit nicht einfach erklärbar. Es ist beispielsweise mathematisch beweisbar, dass die Bahn niemals komplett pünktlich kommen kann (aufgrund des Designs des Netzes). Schade eigentlich.
Wir befinden uns in einem Dilemma, wenn wir die Welt erklären.
Der Experte versucht auf der Suche, nach der einen Ursache, die Dinge immer kleinteiliger zu erklären, bis er am Ende über nichts alles weiß.
Der Generalist tut das Gegenteil, bis er am Ende über alles nichts weiß.”
Und jetzt?
Wie können Sie heute die Herausforderung der 'Root Simplicity' angehen?
Beginnen Sie, indem Sie sich bewusst machen, dass nicht immer die einfachste Antwort die richtige ist. Wenn Sie heute vor einer Entscheidung stehen, nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um über die Komplexität nachzudenken. Fragen Sie sich: Welche Details übersehe ich möglicherweise? Gibt es tiefere Zusammenhänge, die ich berücksichtigen sollte? Indem Sie sich diese Fragen stellen, öffnen Sie sich für ein vollständigeres Verständnis der Situation und sind besser gerüstet, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
Unterm Strich
In einer Welt, die von Komplexität geprägt ist, ist die Suche nach einfachen Antworten zwar verlockend, aber oft irreführend.
Checkliste für alltägliche Entscheidungen:
Fördern Sie kritisches Denken: Ermutigen Sie Ihr Team, einfache Lösungen zu hinterfragen. Stellen Sie offene Fragen, die zum Nachdenken anregen und fordern Sie Ihre Mitarbeiter auf, tiefer zu graben und verschiedene Perspektiven zu betrachten.
Schulung zur Erkennung von Komplexität: Bieten Sie Trainings und Workshops an, die das Bewusstsein für die Komplexität von Problemen schärfen. Helfen Sie Ihrem Team zu verstehen, dass nicht alle Herausforderungen mit einfachen Antworten gelöst werden können.
Überprüfung von Annahmen: Etablieren Sie eine Kultur, in der Annahmen regelmäßig hinterfragt werden. Ermutigen Sie Ihr Team, bestehende Prozesse und Entscheidungen kritisch zu betrachten und alternative Lösungswege zu entwickeln.
Förderung eines ausgewogenen Wissensspektrums: Sorgen Sie dafür, dass Ihr Team sowohl über spezialisiertes Fachwissen als auch über ein breites Allgemeinwissen verfügt. Dies ermöglicht ein umfassenderes Verständnis von Problemen und fördert innovative Lösungsansätze.
Kultivierung von Neugier und Offenheit: Ermutigen Sie eine Unternehmenskultur, die Neugier und Offenheit für neue Ideen und Herangehensweisen wertschätzt. Dies hilft, voreilige Schlüsse zu vermeiden und fördert eine tiefgründigere Problemlösung.
Chief Behavioral Officer gesucht
Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
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