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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
Wie schafft man es als Wirtschaftsunternehmen, dass die Menschen treu bleiben?
„So meisterst du den LinkedIn Algorithmus in vier Tagen!“
„LinkedIn Algorithmus entschlüsselt! Jetzt Gratis Report!“
Schon cool, wer alles so viel weiß, oder?
In die KI kann ich mich nicht richtig hineinversetzen. Das muss ich leider zugeben, da fehlt mir das tiefe Fachwissen und der Einblick in die Firmengeheimnisse.
Die Leute, die die KI programmieren, sind mir schon zugänglicher, weil sie Menschen sind, wie Du & ich. Die Firma, für die sie arbeiten, ist ein Wirtschaftsunternehmen. Was es will, ist dasselbe, wie alle Wirtschaftsunternehmen: Es will leben und gedeihen.
Zwar kenne ich die exakten Pläne nicht, aber ich denke, was immer LinkedIn vorhat, eines steht fest: LinkedIn will, dass wir möglichst viel Zeit auf LinkedIn verbringen und uns möglichst viel damit befassen. Wir sollen reinkommen und drin bleiben. Wir sollen begeistert sein und treu bleiben. Wir sollen nicht in Versuchung geraten, LinkedIn gegen irgendeine andere Plattform auszutauschen, nur weil da gerade ein Hype ist.
Um was es geht
Mit dieser Frage haben sich die Damen und Herren bei LinkedIn mit Sicherheit professionell auseinandergesetzt. Das bedeutet, sie haben ganz bestimmt mitbekommen, was die moderne Verhaltensforschung dazu zu sagen hat und ganz sicher sind sie auch mit dem Hook Model vertraut. Das Hook Model wird hier sehr gut erklärt.
Eine der Erkenntnisse aus dem Hook Model ist die Tatsache, dass sowohl Mäuse als auch andere Tiere, einschließlich Menschen, auf zufällige Belohnungen enthusiastischer reagieren als auf verlässliche.
Dieses Prinzip der Verhaltensänderung durch unmittelbare, variable Belohnungen wird in der Lernpsychologie intermittierende Verstärkung genannt.
Warum das wichtig ist
„Wenn Du gut bist, bekommst Du eine Belohnung - vielleicht.“
Wenn sie ihre Aufgaben gelöst hatten, bekamen sie in einem Szenario immer eine bestimmte mittelgroße Belohnung. Im zweiten Szenario bekamen sie mal eine große, mal eine kleine, mal gar keine Belohnung. Hier zeigten alle menschlichen und tierischen Probanden deutlich mehr Elan, als bei der verlässlichen Belohnung. (Details dazu finden Sie hier).
Was hat das mit dem LinkedIn Algorithmus zu tun? Das weiß ich nicht. Wie gesagt, kenne ich die Firmengeheimnisse nicht. Motiv und Möglichkeit wären gegeben. Wäre es gemein, wenn sie es täten? Wenn sie einen kleinen Zufallsgenerator in ihren Algorithmus eingebaut hätten, damit wir wie die Irren versuchen, das Geheimnis der ultimativen Reichweitensteigerung zu entschlüsseln und posten und testen und testen und posten wie die Mäuse, die den Schalter drücken?
Das hätte Suchtcharakter.
Da wir auf Überleben programmiert sind, brauchen wir Überblick. Wir können nur eine sehr begrenzte Anzahl an Informationseinheiten gleichzeitig bewusst verarbeiten. (Siehe Mach mal sieben plus minus zwei).
In jeder Sekunde strömen unzählige Sinneseindrücke auf uns ein. Wir können die nicht alle analytisch auswerten, bevor wir beginnen, die wichtigen von den unwichtigen zu trennen.
Deshalb haben wir unsere Urteilsheuristiken. Abkürzungen, die uns erlauben, eine unbewusste Vorauswahl zu treffen, damit dem bewussten Denkapparat nur das Wichtige zugeleitet wird.
Wichtig ist vor allem, was unser Überleben bedroht. Gefahrenzeichen sind plötzliche Veränderungen und Bewegungen, Signalfarben, plötzliche Geräusche. So wie ein Fauchen im Unterholz oder das Geräusch einer Benachrichtigung. Wenn wir es aktiv ignorieren, ist es bereits zu spät. Es ist in unser Bewusstsein eingedrungen und hat unsere Aufmerksamkeit bereits für einen Moment abgelenkt.
Wie oft am Tag lassen wir das geschehen und was macht das mit uns?
Das nächst wichtigste ist die Belohnung.
Im Marketing kennen wir die wichtigste Frage jedes Kunden und Lesers: „what is in it for me?“, was springt für mich dabei heraus, was habe ich davon?
Das Hook Modell kennt drei Arten von „Reward“, Belohnung:
The Hunt - die Jagd
Materielle Güter und GeldThe Tribe - die Gemeinschaft
Das Gefühl von Verbundenheit, die Stärke unserer Beziehungen
The Self - das Selbst
Selbstverwirklichung und Weiterentwicklung
All das suchen die Menschen auf LinkedIn. Sie suchen und finden Kunden (Hunt), Kontakte (Tribe) und Weiterbildung (Self). Für viele Contentkreierende ist das Schreiben auf Social Media auch ein Akt der Selbstverwirklichung. Das ist doch wunderbar! Was will man mehr?
Das mesolimbische dopaminerge System ist bei uns für das Wollen zuständig.
Das mesolimbische System wird als das Belohnungssystem oder positives Belohnungszentrum bezeichnet. Es ist verantwortlich für Erkrankungen wie Sucht, aber auch für die Reiz-Belohnung-Konditionierung. Sobald es aktiviert wird, entwickelt der Mensch ein gesteigertes Verlangen. Das Hormon Dopamin ist daran intensiv beteiligt. Daher wird das mesolimbische System auch als mesolimbisches dopaminerges System bezeichnet.
Unser Wollen ist stärker ausgeprägt, als unser Genießen, vor allem, wenn wir süchtig sind.
Auch ohne Suchterkrankung ist der Dopaminspiegel, der unseren Grad an Euphorie anzeigt, am stärksten in Erwartung eines glücklichen Augenblicks. Zum Zeitpunkt des Eintretens der erwarteten Belohnung ist der Dopaminspiegel deutlich geringer.
Versuche an Hunden, denen man beibrachte, beim Aufleuchten eines Lämpchens eine Taste zu drücken und dann dafür verlässlich Futter zu bekommen, zeigten, dass das Dopamin beim Aufleuchten des Lämpchens und Drücken der Taste am stärksten ausgeschüttet wurde und bei Erhalt des Futters nur noch viel weniger davon vorhanden war.
Was passiert, wenn man den Hund nur noch zufällig verteilt jedes zweite Mal belohnt? Wird er frustriert sein, die Lust am Spiel verlieren, vielleicht sogar mit Aggression reagieren? Nein! Diese intermittierende Verstärkung lässt das Dopamin in die Höhe schnellen!
Die hoffnungsvolle Erwartung einer nicht sicheren Belohnung ist weitaus freudvoller als das sichere Abkassieren einer erwarteten Bezahlung.
Verhaltenssteuerung
Ein bestimmtes Verhalten mit intermittierender Verstärkung hervorzurufen und zur Gewohnheit zu machen, dauert länger, als mit vorhersehbarer Belohnung.
Dafür ist dieses Verhalten, wenn es durch gelegentliche, unvorhersehbar verteilte Belohnungen gelernt wurde, bedeutend stabiler.
Sucht
Der Konsum von Rauschdrogen und auch das Befriedigen von Verhaltenssüchten, wie Spielsucht und Internetsucht, bewirkt andauernde biochemische, anatomische und physiologische Veränderungen des mesolimbischen Systems. Diese Veränderungen werden in ihrer Gesamtheit als Neuroadaption bezeichnet und bewirken eine erhöhte Ansprechbarkeit nicht nur gegenüber der konsumierten Substanz, sondern auch gegenüber anderen Rauschdrogen und suchterzeugenden Auslösern. Die Folge ist eine erhöhte Anfälligkeit für wiederholten Konsum und für Suchtverhalten insgesamt, da die Veränderungen zum Teil über Jahre bis Jahrzehnte bestehen bleiben.
Die erhöhte Ansprechbarkeit, die Sensitivierung betrifft das Verlangen. Das angestrebte Gefühl der Euphorie wird im Gegensatz zum Verlangen nicht verstärkt, sondern schwächt sich ab.
Der Süchtige entwickelt eine Toleranz.
So kommt es, dass wir nicht aufhören können, wie die Wahnsinnigen zu klicken und nach dem nächsten Reward, der nächsten möglichen Belohnung zu suchen, obwohl es persönlich und auch geschäftlich viel besser für uns wäre, wenn wir ein paar Gänge runterschalten würden.
Wenn wir unsere bestehenden Beziehungen vertiefen würden, anstatt Social Media Kontakte zu sammeln wie Briefmarken. Das wäre ein echter Reward of the Tribe.
Es würde zu tieferen und auf die Dauer gewinnbringenderen Kundenbeziehungen führen und wäre damit auch ein echter Reward of the Hunt.
Wenn wir unsere heruntergeladenen Whitepaper wirklich durcharbeiten und die zahlreichen cleveren Funktionen unserer gekauften Produkte kennenlernen und ausnutzen würden. Das würde unsere Kompetenz stärken und wäre ein echter Reward of the Self.
Unterm Strich
Ob gemein oder genial, wenn wir uns selbst beobachten, haben wir eine Chance, nachzuvollziehen, woher unsere Vorlieben und Gewohnheiten kommen.
Produkte sind dazu da, unsere Lebensqualität zu erhöhen, privat wie beruflich. Tun sie es wirklich? Gaukeln sie es uns nur vor? Lassen sie uns wie die Esel hinter der Möhre herlaufen? Macht uns das dauerhaft verbundener, reicher, glücklicher? Wie, wo und wann können wir sie anwenden, sodass sie uns den versprochenen Nutzen bringen, ohne uns zu schaden?
Chief Behavioral Officer gesucht
Wie designen Sie die Erfahrung ihrer Kunden und Schüler? Setzen Sie intermittierende Belohnungen ein, um die langfristige und stabile Loyalität ihrer Kunden und den anhaltenden Lerneifer ihrer Studierenden zu erhöhen? Welche Gewohnheit wollen Sie etablieren?
Worin könnte eine Belohnung bestehen, die häufig, aber nicht immer auf die erwünschte Handlung folgt? Auf welchen Ebenen können Sie die Handlung belohnen? Tribe, Hunt, Self?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
Wenn Sie uns Tipps oder Feedback senden möchten, dann schicken Sie uns eine E-Mail an redaktion@cbo.news. Vielen Dank.