Implizite Abmachung
Über psychologische Verträge, wieso auch Sie welche haben und sich anschauen sollten.
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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational zu sein als auch falsch zu liegen." Unser Werkzeug eines Chief Behavioral Officers heute:
Psychologische Kontrakte
"60 h in der Woche - Das ist halt schon Ausbeutung." Ich musste schlucken. Es stimmt: Das sind nicht die 40h im Vertrag. Aber irgendwie stimmt es auch nicht. Der zeitliche Aufwand, die Tätigkeit, Vergütung - alles drumherum - war vorher klar kommuniziert und genauso wie versprochen. Woher also kommt diese Reibung?
Die Gedanken dahinter
Arbeitgeber und -nehmer erwarten und bieten gegenseitig mehr als im formalen Arbeitsvertrag steht. Dieses Phänomen nannte C. Argyris in den 1960ern psychologischer Kontrakt.
Es beinhaltet einerseits transaktionales (also das Geben-Nehmen), aber auch relationale Aspekte (Zugehörigkeit, Fürsorge). Typische Überschriften sind Loyalität und Engagement (beidseitig). Konkret heißt das sowas wie "gutes Geld für gute Arbeit", "familiäre Atmosphäre, die Spaß macht" oder "ein sicherer Job bis zur Rente".
Oft sind diese Erwartungen aneinander nicht nur sehr subjektiv, sondern auch sehr unterschiedlich und noch schwieriger: unausgesprochen. Sie entwickeln sich auch von loser Gesellschaftsnorm über erste Berufserfahrungen hin zu den verschiedenen Branchen- und Professions-Eigenheiten.
Spannend wird es, wenn dieser „Vertrag“ gebrochen wird: Konsequenterweise verlassen einige die Organisation (zu deren Überraschung), manche fordern die impliziten Versprechen ein oder passen Leistung und Loyalität an. Die Folge ist innere Kündigung (auch als „Dienst nach Vorschrift“ bekannt) kann aber auch in Richtung Burnout gehen (weil man sich zu „noch mehr“ verpflichtet fühlt).
Wieso ist das wichtig?
Im öffentlichen Diskurs hört man von der Viertagewoche und "Mehr Bock auf Arbeit", auch „New Work“ und „Transformation“ tauchen immer wieder als Schlagworte auf.
Alle diese Themen haben mit psychologischen Verträgen zu tun. Bestehende „Vertragsbrüche“ kommen ans Licht und neue Erwartungen nehmen Gestalt an.
Der Gender-Pay-Gap wird beispielsweise nicht mehr akzeptiert: Es wird erfolgreich geklagt.
Das betrifft auch die Teilhabe am Gewinn: Das Verhältnis von Vorstandsvergütung zu Arbeiterlohn entwickelte sich in den Sechzigern von 1:20 hin zum heutigen 1:400. Wenn dann noch Milliardenausschüttungen an Aktionäre in die Presse kommen, ist klar, dass der implizit abgemachte „faire Lohn“ nicht stimmt. Streiks sind die Konsequenz.
Auch dass Unternehmen Verhandlungsprofis gegen Jobeinsteiger „antreten lassen“, spricht Bände über die Beziehungsbasis. Das Szenario: Profiboxer gegen Kind. Fürsorge, Fairness und Transparenz wäre auch möglich - ist es auch: Es entstehen neue Konzepte wie New-Pay. Oder CEO Dan Price führte entsprechend konsequent den Mindestlohn von 70.000 $ ein.
Auch Franchise Nehmer bei Supermärkten gehen so von günstigen Preisen und garantierten Gewinnen aus. Diese Versprechungen (also der psychologische Vertrag) wird gebrochen - gleichzeitig gibt es Rechtsverträge, die diese Menschen in den Ruin treiben. Das Ganze ist schön in dieser Arte Doku über Supermärkte erklärt.
Und es gibt noch eine ungute Dynamik, die jeder kennt. Wer sich engagiert, wird mit mehr Arbeit „belohnt“. Aus Managementsicht nachvollziehbar: „Da kümmert sich wer. Bringt sich voll ein.“ Gleichzeitig bricht es Essenzielles am psychologischen Kontrakt:
Die Gegenleistung für das „mehr tun“ wird in der Regel nicht erbracht,
gleiche Behandlung der Kolleg:innen passt nicht mehr,
die machbare Arbeitsmenge wird immer weiter überschritten.
Eine Dynamik, die so lange läuft, bis das Engagement den Vertragsbruch bemerkt.
Und jetzt?
Als CBO wissen sie, dass Verträge und eine Rechtsabteilung leider notwendig sind. Sie wissen allerdings auch, dass ohne seelischen Kontrakt gar nichts geht.
Saubere Kontrakte: Bevor man eine (längerfristige) Geschäftsbziehung eingeht - egal ob Projekt, Coaching oder Kauf sollte man Zeit damit verbringen die gegenseitigen Erwartungen zu klären.
Wie stehen wir zu einander? Welches Fundament hat unsere Beziehung? Ist es ein Zweckgemeinschaft, Kollegen auf Augenhöhe oder klare Hierarchie: König Kunde oder Chef, der Auftraggeber?
Was ist mir wichtig im Geben und Nehmen? Was erwarte ich, in welcher Form bis wann? Wann ist mein Teil erfüllt, wann deiner? Wieviel Qualität oder Engagment erwarte ich? Biete ich auch etwas (immaterielles) dafür? Stimmt die Balance? Was braucht es, damit sie stimmt?
Was ist mir wichtig im “Wie” wir miteinander umgehen? Gibt es Eigenheiten, die man wissen sollte? Wie steht es zum Beispiel um Liefer-, Reaktions-& Wartezeiten? Ergänzungen, die mir hilfreich wären? Was machen wir, wenn ein Konflikt entsteht? Gibt es Tabubrüche wie fehlende Vertraulichkeit oder Intransparenz?
Störungen haben Vorrang: In der sehr empfehlenswerten Themenzentrierten Interaktion (TZI) gilt “Störungen haben Vorrang”.
Wenn Sie in einer Gruppe ein “komisches Gefühl” haben, wenn “Geben und Nehmen” oder “das Miteinander” nicht stimmt, dann sprechen Sie es an.
Egal ob Kunde, Kollege, Chef oder Organisation: “Vertragsbrüche” wirken sich auf Arbeit und Team aus. Das zeigt sich auch in PeopleAnalytics wie steigender Fluktuation, Kündigungswellen oder gehäuften AU-Tagen (Krank-sein).
Wenn man nicht handelt hat man schnell überall zerbrochene Scheiben. Wenn man handelt kann sich eine neue Abmachung formen:
Bisher unausgesprochene Erwartungen werden klarer,
Enttäuschungen sichtbar und
Anpassungen möglich.
Unterm Strich
Die Reibung hat Feuer gebracht. Auch wenn es abgesprochen war: Eine 60h Woche sollte eine Ausnahme sein. Und das lässt sich gut organisieren. Wenn es doch mal passiert, braucht es Ausgleichszeiten. Denn ja: wenn Wohlbefinden, Lernen und gute Zusammenarbeit wichtig sind, gestaltet man das Miteinander auch so. Und wenn für eine Seite Geben und Nehmen nicht mehr stimmt: findet man auch dafür eine Lösung.
Chief Behavioral Officer gesucht
Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
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