Lesezeit ca. 6 Minuten
Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
Samuelsons Problem
Stellen Sie sich vor, Ihnen würde eine Lotterie angeboten. Ein einfacher Münzwurf mit einer 50/50 Chance
Sie können 100 Dollar verlieren oder 200 Dollar gewinnen. Wäre das eine gute Wette?
Ja! Das ist eine sehr gute Wette!
Würden Sie diese Wette eingehen?
Sie könnten 200 Dollar gewinnen! Allerdings könnten Sie auch 100 Dollar verlieren.
Verlustaversion nennen Ökonomen das Phänomen, dass wir selbst eine solche sehr gute Wette meistens trotzdem ablehnen, weil wir den möglichen Verlust emotional viel stärker gewichten als den möglichen Gewinn.
Zu verlieren tut einfach viel mehr weh, als es gut tut, zu gewinnen.
Das ist genetisch bedingt und half unseren Vorfahren, zu überleben.
Ein sehr konservatives Gen.
Es fördert die Bewahrung des aktuellen Besitzes und des Status Quo.
Es macht uns risikoscheu, wenn es darum geht, möglicherweise viel zu gewinnen, wenn gleichzeitig die Gefahr besteht, vergleichsweise wenig zu verlieren.
Dieses Verhalten zeigen nicht nur Menschen.
Auch im Tierreich kann man es beobachten. Sehr eindrucksvoll zum Beispiel bei Revierkämpfen.
Dringt ein fremder Artgenosse in ein Territorium ein, wird der Besitzer des Reviers versuchen, ihn zu verjagen.
Die Aussicht, möglicherweise seinen Besitz zu verlieren, motiviert den Verteidiger viel stärker, als die Möglichkeit, ein Territorium zu gewinnen, den Angreifer motiviert.
Deshalb kämpft der Verteidiger sehr viel entschlossener und gewinnt dadurch meistens.
Nur so ist ein gewisser Bruterfolg überhaupt möglich.
Stellen Sie sich einmal vor, jedes Tier mit festem Revier, Bau oder Nest in guter Lage, müsste dauernd umziehen, weil seine „Immobilie“ Begehrlichkeiten unter den Artgenossen weckt.Im Tierreich ist es auch heutzutage kaum möglich, durch eine langfristige Gewinnstrategie Reichtümer anzuhäufen. Jeder Besitz an Nahrung und Territorium muss verteidigt werden und die Winternahrung, die man im Herbst gesammelt und versteckt hat, ist ein Jahr später nicht mehr genießbar. Es ist vernünftig, unter solchen Umständen, das sichere Überleben zu priorisieren und Risiken nur dann einzugehen, wenn der erwartete Gewinn den drohenden Verlust bei weitem übersteigt.
So gut und praktisch diese natürliche Veranlagung ist, so gefährlich ist sie aber auch für unsere Finanzen in der heutigen Zeit.
Um was es geht
Die oben genannte Wette ist unter dem Namen „Samuelsons Problem“ unter Ökonomen bekannt.
Paul Samuelson war ein Gigant unter den Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Er stellte einem Freund die Frage nach der Wette.
Der Freund antwortete:
„Ich werde nicht wetten, weil ich den Verlust von 100 Dollar stärker spüren würde als den Gewinn von 200 Dollar. Aber ich nehme das Angebot an, wenn du versprichst, mich 100 solcher Wetten machen zu lassen.“
Erst wenn wir mehrere solcher Wetten gedanklich bündeln, ist der statistisch zu erwartende Gesamtgewinn ausreichend hoch, um unsere Verlustaversion zu überwinden.
Rechnen Sie nach!
Bei einer einzelnen solchen Wette steht die Chance 50 zu 50, dass wir 100 Dollar verlieren. Das Ergebnis ist rein zufällig
Betrachten wir hundert dieser Wetten gebündelt, haben wir eine statistisch zu erwartende Rendite von 5.000 Dollar. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir überhaupt Geld dabei verlieren beträgt 1 zu 2.300 und die Wahrscheinlichkeit, mehr als 1.000 Dollar zu verlieren beträgt 1 zu 62.000. (Matthew Rabin und Richard Thaler)
Das klingt doch schon wesentlich besser, nicht wahr?
Die Lösung für Samuelsons Problem: Weites Framing setzen und Wetten bündeln.
Frame bedeutet Rahmen. Ihr Framing bestimmt, wie Sie einen Sachverhalt, eine Situation einordnen und bewerten. Schauen Sie nur auf das einzelne Ereignis, oder nehmen Sie ein großes Ganzes wahr?
Warum das wichtig ist:
Gelassen in den Pitch
Wenn Sie Zeit, Geld und Mut in die Akquise potenzieller Auftraggeber investieren, um einen lukrativen Auftrag zu erhalten, ist das eine gute Wette. Ihre Chancen, den Auftrag zu erhalten sind gut, aber nicht 100 %.
Es ist möglich, dass Sie den Auftrag trotz bester Vorbereitung nicht bekommen. Auch mehrmals hintereinander. Das kann sehr frustrierend und geradezu entmutigend sein, wenn Sie jede dieser Wetten einzeln betrachten.
Sie spüren dann vorher schon deutlich und schmerzhaft den drohenden Verlust und verkrampfen möglicherweise. Wenn Sie alle diese Wetten gebündelt betrachten, wissen Sie, dass Sie auf die Dauer nur gewinnen können. Das steigert Ihre Zuversicht und es verringert Ihren Stress. Ihre Gelassenheit erhöht Ihre Chancen in den Verhandlungen. Ihre Wetten werden noch günstiger.
Aktien
Vermeiden Sie es, sich selbst mit den täglichen Kursschwankungen verrückt zu machen und in Aktionismus zu verfallen. Sorgen Sie für ein gutes, gemischtes Portfolio und seien Sie gewiss: Mal verliert man, mal gewinnt man.
Betrachten Sie Ihre Zahlen nur einmal im Monat, besser noch einmal im Quartal. Das ist gesünder sowohl für Ihre Psyche als auch für Ihren Kontostand.
Kooperation
Sie haben schon drei Mal eine Absage erhalten, als Sie für Ihr Projekt einen möglichen Kooperationspartner angesprochen haben? Das muss nicht heißen, dass Ihr Projekt schlecht ist oder Sie nicht gut verhandeln können. Es kann auch sein, dass Sie einfach Pech hatten.
Es ist nicht ungewöhnlich, dreimal hintereinander Pech zu haben. Machen Sie es wenigstens zehnmal, besser hundertmal, bevor Sie sagen: „Die Erfahrung hat gezeigt, das wird nichts.“
Spezialfall Bildung
Sind Sie nicht sicher, ob der Workshop, der Sie interessiert, oder das Buch, das Sie lesen möchten, wirklich dazu führen wird, dass Sie Ihre Expertise gewinnbringend vertiefen oder erweitern werden, dass sich Ihre zusätzliche Bildung in Euro auszahlen wird?
Warten Sie nicht darauf, dass Ihr jetziger oder zukünftiger Arbeitgeber zu Ihnen sagt, „lernen Sie das.“, bevor Sie anfangen, sich weiterzubilden.
Sie haben, wenn Sie Bildungsinhalte auswählen, die sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit einmal für Sie auszahlen werden, nicht nur gute Wetten abgeschlossen, die Sie bündeln können.Selbst dann, wenn die Wahrscheinlichkeit nur mittel oder sogar gering ist, dass Ihr Arbeitgeber genau dieses Wissen von Ihnen verlangen wird, gewinnen Sie, weil Wissen sich nicht einfach nur anhäuft, sondern sich gegenseitig befruchtet und festigt. Der ganze Forschungszweig der Bionik zum Beispiel beruht darauf, dass Wissen über biologische Lösungen der Natur auf technische Probleme angewandt werden.
Jedes Wissen, das Sie sich aneignen, fördert Ihre Fähigkeit, Muster zu erkennen und diese auf andere Bereiche anzuwenden. Das boostet Ihr kreatives Potenzial und Ihre Fähigkeit, auf interdisziplinärer Ebene zusammenzuarbeiten.
Darauf müssen Sie achten:
Die gebündelten Wetten müssen wirklich unabhängig voneinander sein.
Bündeln Sie keine Investitionen in dieselbe Branche, die im Fall einer ungünstigen Entwicklung alle zusammen untergehen würden.Riskieren Sie nicht Ihr gesamtes Vermögen. Um Wetten bündeln zu können, müssen Sie im Spiel bleiben.
Wenden Sie die Strategie nicht auf langfristige Investitionen mit geringen Gewinnaussichten an.
Unterm Strich
Investieren Sie!
Seien Sie sich darüber klar, dass es normal ist, Pech zu haben, auch mehrmals hintereinander, auch bei außerordentlich guten Wetten. Machen Sie sich nichts aus Zufällen.
Halten Sie sich an die drei Regeln und vertrauen Sie darauf, langfristig zu gewinnen, wenn Sie bereit sind, viele gute Wetten einzugehen. So überwinden Sie auf vernünftige Weise Ihre Verlustaversion.
Wenn Sie denken, „wenn ich das hundertmal machen dürfte, würde ich mich darauf einlassen, weil die große Zahl der Versuche dafür sorgt, dass ich nur gewinnen kann“, dann tun Sie es, auch wenn Sie diese spezielle Wette nur einmal spielen dürfen, es sei denn, der mögliche Verlust würde Sie ruinieren.
Denken Sie groß und nutzen Sie möglichst viele Ihre Chancen.
Chief Behavioral Officer gesucht
Wo sehen Sie weitere Möglichkeiten, durch die mentale Bündelung von guten „Wetten“ Ihren Gewinn und Ihre Resilienz zu steigern? Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
Wenn Sie uns Tipps oder Feedback senden möchten, dann schicken Sie uns eine E-Mail an redaktion@cbo.news. Vielen Dank.