Schon fast fertig ...
Woher der Drang zur Vollendung kommt, wann er schadet und wie man ihn nutzt.
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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational zu sein als auch falsch zu liegen." Unser Werkzeug eines Chief Behavioral Officers heute:
Completion Bias
"Ich mache nur noch das hier kurz fertig und dann komme ich heim."
Zwei Stunden später verabschiedet sich meine Kollegin und ich stelle fest, dass die Sonne schon untergegangen ist. Die To-do-Liste ist voller Haken und irgendwie bleibt trotzdem das Gefühl nicht wirklich was geschafft zu haben.
Was steckt dahinter?
Der Completion Bias beschreibt den Impuls, angefangene Dinge zu vervollständigen. Es ist der menschliche Drang nach kleinen, erfolgreichen Abschlüssen.
In der HarvardBusinessReview wird das mit dem Dopaminsystem erklärt: Kleine Erfolge aktivieren unser Belohnungssystem und starten die Hormonausschüttung. Eine wunderbare Sache: So können ein paar einfache To-dos zu Beginn des Arbeitstages Leistung, Motivation und Zufriedenheit stärken.
Erste Ideen dazu gab es in den 1920ern: Frau Zeigarnik stellte fest, dass Bedienungen sich Bestellungen super merken konnten, die Kunden aber auch sofort vergaßen, sobald ihr Service abgeschlossen war. (Bekannt als der Zeigarnik Effekt).
Ihre Kollegin Frau Ovsiankina fand sogar noch mehr heraus: Unerledigte Aufgaben sorgen für ein unangenehmes Gefühl. Und um das zu umgehen, erledigt man sie - oder lenkt sich mit anderen Aufgaben ab.
Warum das wichtig ist?
Die Lust nach der Vervollständigung einer Aufgabe ist eine wunderbare Sache. Zumindest auf den ersten Blick: Sie hat auch Nebenwirkungen.
Priorisierung & Aufgabenauswahl
Diese kleinen Erfolgserlebnisse führen dazu, dass wir eher einfache Aufgaben angehen, die eben schnelle, kleine Erfolge ermöglichen – und nicht die eigentlich wichtigen: Eine Dopamin Falle.
Dieser Mechanismus erklärt das Versinken im Social-Media-Stream und Prokrastination (auch bekannt als Aufschieberitis).
The danger, of course, is devoting too much time to the mundane
and too little to important projects. - F. Gino & B. Staats in HBR
Auch unter Stress und hoher Belastung gibt es (neben dem bekannten Trade-Off Qualität versus Geschwindigkeit) die Tendenz erstmal Aufgaben zu wählen, die schnell zu erledigen sind. Diese Taktik erhöht kurzfristig die Produktivität (weil viele, einfache Aufgaben erledigt werden) verhindert dafür langfristig Weiterentwicklung sowohl bei der Person als auch in der Organisation.
Eine Studie zur medizinischen Versorgung hat so festgestellt, dass bei hoher Auslastung einige Ärzte einfache Fälle vorzogen. Das sorgte für hohe Behandlungsquoten. Schwere Fälle allerdings wurden nach hinten verlagert und durch Müdigkeit schlechter behandelt. Vor allem auf Dauer, denn den Ärzt:innen fehlte schlicht die Übung zur eigenen Weiterqualifizierung.
Scheinbare Einheit
Auch was wir als „vollständig“ definieren, kann Probleme bereiten. Wenn wir etwas als eine „Einheit“ verstehen, wollen wir diese Sache auch als ganzes abschließen.
(Große) Essens-Portionen haben so einen direkten Effekt auf Übergewicht.
Auch für Produkte gilt das: Ein Spendenaufruf stellte sechs verschiedene „Geschenke“ zur Wahl. Standen sie einfach nur nebeneinander, entschieden sich 3 % der Spender alle zu spenden. Mit der Rahmung als „Survival Kit“ wurde das Komplettpaket von 21 % gespendet (Details in Studie 1 in dieser Sammlung).
Und jetzt?
Als CBO kennen Sie diese Lust nach kleinen Erfolgen und die Verführung des „nur ganz kurz“ und „es geht ganz schnell“.
Daher nutzen Sie folgende Ideen:
Priorisierung: Gerade wenn viel ansteht will man auch viel wegschaffen. Bevor Sie einfach irgendwas anpacken, sollte klar kommuniziert sein, was als erstes ansteht z.B. mit der EisenhowerMatrix. Das gilt für einen selbst, vor allem aber auch wenn man im Team arbeitet oder etwas delegiert.
Wie isst man einen Elefanten? Wenn eine Aufgabe zu groß ist, teile Sie in kleine Stücke, die einfach Erfolge möglich machen. So macht jeder Happen dank Dopamin mehr Lust auf den nächsten.
Auch Cross-Selling funktioniert so: “Die neue Hose haben Sie jetzt. Ein tolles Stück! Passt prima zu hellem Leder. Haben Sie schon einen passenden Gürtel?”
Fortschrittsanzeige: Ob beim Abschluss einer Bestellung, die schon absolvierten Fragen im Interview oder die Teile „dieses Looks“: Geben sie Rückmeldung dazu wie viel man schon geschafft hat und wieviel noch ansteht. Das können auch vorgegebene Produktsets sein oder eine Checkliste beim (Software) Onboarding.
Einfach mal anfangen: Wenn eine wichtige Aufgabe ansteht, fangen Sie einfach mal an. Es geht nicht darum direkte Vollständigkeit zu erreichen: Es geht darum schonmal begonnen zu haben.
Denn wenn wir einmal mit einer Sache begonnen haben fällt es uns auch leichter dran zu bleiben und später zur Sache zurückzukehren.
Unterm Strich
Wenn ich die Verführung spüre, nur noch „schnell etwas fertig zu machen“ oder hinter alle Punkte einen Haken zu setzen, halte ich kurz inne und erinnere mich:
Vollständigkeit ist eine Illusion.
Und ganz oft setzte ich dann den Punkt auf die Liste für morgen und gehe heim.
Chief Behavioral Officer gesucht
Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
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