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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
Authority-Bias
Bester Arbeitgeber des Jahres, Top - Coach im Ranking, von führenden Zahnärzten empfohlen und natürlich Autorität auf ihrem Fachgebiet. Es ist wunderbar, wenn man einen Experten hat: Dann muss man nicht mehr nachdenken und kann auf die Expertise vertrauen.
Die Person wird schon wissen, was sie da sagt. Oder? Ist der Doktortitel eigentlich in Medizin oder Philosophie? Und was sagen die Argumente?
Um was es geht
Sie kennen vermutlich das Milgram-Experiment. In der Nachkriegszeit war das Interesse groß zu sehen, woran es denn liegt, dass Menschen sogar morden. Ein Mann mit Doktortitel, Klemmbrett (und ich stelle mir auch eine Brille vor) leitete Versuchspersonen an, einer nicht sichtbare Person im Nebenraum Stromstöße zu verabreichen. „Einfach auf den Knopf drücken, wenn die Person einen Fehler macht. Der Stromschlag wird jedes Mal stärker.“ Man hört die Person immer stärker wimmern, schreien und schließlich Stille. Stromstöße verteilten die Versuchspersonen dennoch weiter. 26 von 40 Teilnehmenden gingen bis zum Maximum. Erschreckend: Exekution auf Knopfdruck!
Die nicht sichtbare Person hat natürlich nicht existiert. Die Geräusche waren nur simuliert. Die Versuchspersonen waren allerdings von ihrer Echtheit überzeugt. Das ist der Grund, warum solche Experimente heutzutage nicht mehr durchgeführt würden. Das Verhalten würde heutzutage auch keiner mehr zeigen. Bis zum Beispiel auf die Personen, die 2015 in einer Reproduktion der Studie nochmal die gleichen Ergebnisse reproduzierten.
Irgendwas scheint da in uns verankert zu sein, dass wir Autoritätsfiguren – insbesondere, wenn sie als solche erkennbar sind - Glauben schenken und ihren Anweisungen folgen.
An sich ist das auch eine gute Idee Expertise anzuerkennen und ihr zu folgen. Wenn das nicht passiert und stattdessen in reinem Wunschdenken oder Selbstbestätigung verblieben wird, ist es auch seltsam.
Am besten illustriert sieht man das in diesem Sketch: I am an Expert!
Schwierig ist es, wenn Autorität lediglich als Überzeugungsmittel genutzt wird. Das geschieht gerne im Marketing, durch Betrüger, vielleicht auch schlicht im Dunning-Kruger-Effekt oder weil ein Experte vorgeschlagen hat, Sie sollten sich als Experte bezeichnen (zum Beispiel in Timothy Ferris in seinem Buch die 4 Stunden Woche). Die (Selbst-)Darstellung nach Außen stimmt dann nicht zwingend mit der Expertise dahinter überein.
Die Top-Coaches, Ärzte und Co. im Focus sind so in der Kritik, wie diese Bewertung zustande kommt. Teilweise sind die Plätze schlicht gekauft oder eher Bewertung der Bekanntheit als der Fachkompetenz (Siehe z.B. die Einschätzung CoachingMagazin oder wie sie sich das Zertifikat Top-Arbeitgeber kaufen).
Und auch in Organisationen ist es ein ernsthaftes Problem, wenn das HIPPO (auch bekannt als Höchstbezahlte Person im Raum – egal ob Management oder die Beraterin im Expertenoutfit) seine Meinung kundtut. Kundenfeedback durch die „Frontworker“, gezielte Experimente oder eben einfach Daten werden auf einmal überhört. Das blinde Vertrauen in Autoritäten kann so großen Schaden anrichten. Siehe https://dl.acm.org/doi/abs/10.1145/1281192.1281295 oder hier https://www.forbes.com/sites/bernardmarr/2017/10/26/data-driven-decision-making-beware-of-the-hippo-effect/#416ac26480f9.
In der Organisation kann man sich diesen Effekt auch mit der Angst vor negativen Konsequenzen erklären. Wer widerspricht schon gern dem Chef? Noch dazu vor dem Kunden?
Eine andere Erklärung wann und wieso wir auf Ärztekittel, Qualitätssiegel, 5-Sterne-Bewertungen oder schlicht die Selbstdarstellung als Experte vertrauen sind die guten alten Heuristiken.
Wenn jemand offizielle Titel, Auszeichnungen und ähnliches erhält, ist es ein gutes Kriterium dafür, dass diese Person sich in der Vergangenheit bewiesen und ihren Status auch verdient hat. Gerade wenn wenig Zeit für eine tiefere Auseinandersetzung besteht, oder die Entscheidung einfach schnell und mit minimalem Aufwand getroffen werden muss, ist Autoritätsstatus gar kein schlechtes Kriterium.
Warum das wichtig ist
Autorität durch Titel, Aussehen, Siegel und Ähnliches haben einen Einfluss auf Glaubwürdigkeit und Ihre Entscheidungen.
Wenn sich Ihnen jemand oder etwas mit Autorität präsentiert: Achten sie nicht nur auf Oberflächenmerkmale wie Aussehen, Titel oder Zertifikate. Prüfen sie Argumente und Datengrundlage hinter den Angaben. Dabei hilft eine physische oder zumindest psychische Distanz zum “Evaluationsobjekt”.
Nutzen Sie beispielweise neutrale Testinstanzen mit klaren Bewertungskriterien oder unabhängige Personen ohne (finanzielle) Eigeninteressen am Angebot – z.B. ehemalige Kollegen oder Ihr Professionsnetzwerk.Beachten sie bei Entscheidungen, dass die Meinung und Argumente von allen Beteiligten eingebracht werden können und unabhängig von Status zugehört wird.
Sei es durch Sammlung von Argumenten vorab,
anonyme Umfragen oder
kleine Experimente um die Annahmen zu prüfen.
Denn ein Argument sollte unabhängig von der Quelle Argument genug sein. Das beste Beispiel: als Einstein seine Relativitätstheorie veröffentlichte reagierte die Fachwelt mit einem inhaltlich fragwürdigem Buch mit dem Titel „Hundred Authors Against Einstein“ – seine Reaktion: “Wieso hundert, wenn doch einer gereicht hätte?“. Weder Menge der Experten noch ihr akademischer Grad sondern die Argumente zählen.
Wenn Sie selbst bereits eine Autorität sind (Gratuliere!) oder als solche gesehen werden, reicht manchmal schon Ihre Autorität selbst aus um eine Wirkung zu erzeugen. Gehen Sie bewusst damit um, denn sie kann neben positiven auch zu negativen Effekten führen.
Als Führungskraft begegnet Ihnen “vorauseilender Gehorsam”. Klare Ansagen sind daher genauso wichtig, wie Kritik und abweichende Meinungen aktiv einzuladen. Und gut mit diesen umzugehen. Sonst werden Sie am Ende Opfer Ihrer eigenen Autorität!
Unterm Strich
Ob Coach oder Arbeitgeber so Premium sind wie das Bier, das Sie trinken, können Sie wahrscheinlich mit Ihren eigenen Erfahrungen am besten Selbst beurteilen. Sie sind nämlich schon mehr Experte als Ihnen vielleicht klar ist. Zumindest wenn Sie immer offen für Argumente sind.
Chief Behavioral Officer gesucht
Wo sind Sie in Ihrem Alltag mit Autoritäten konfrontiert? Worin haben Sie selbst Expertise und sollten diese auch nach außen zeigen? Und wenn man genauer hinsieht was steht eigentlich hinter dieser Autorität?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
Wenn Sie uns Tipps oder Feedback senden möchten, dann schicken Sie uns eine E-Mail an redaktion@cbo.news. Vielen Dank.