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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
Nicht alles, was echt ist, zählt. Aber alles, was zählt, ist echt.
Es gibt kaum eine Industrie, geschweige denn eine berufliche Tätigkeit, für die es nicht zutrifft: „Wenn Sie einen Wahrnehmungswert schaffen, schaffen Sie auch einen realen Wert.“
Um was es geht
Werte können genauso in den Köpfen genauso geschaffen werden wie in den Fabriken. Es ist ein Fehler, aus meiner tiefsten Überzeugung, dass wir das Thema Psychologie maximal als optional ansehen. Nach wie vor sprechen wir einem Produkt lieber einen ‘intrinsischen Wert’ zu, der diesem - ganz objektiv - innewohnt.
Ich könnte dem nicht vehementer widersprechen. Wir bewerten Dinge nicht danach, was sie objektiv sind, sondern was sie ‘bedeuten’. Und was sie ‘bedeuten’ ist abhängig vom Kontext. Kontext wiederum kann ‘relativ’ leicht transformiert werden: durch Storytelling, Framing, Recontextualisierung, Stimmung, u.ä.
Man kann also sehr deutlich psychologische Mechanismen nutzen, um Dinge subjektiv empfunden wertvoller zu machen und auch erfreulicher.
Fun Fact: Mal wirklich auf die Spitze getrieben, könnte man sogar so weit gehen, dass ein psychologisch erschaffener Wert eine sehr umweltfreundliche Kategorie von Wert ist. Schließlich kann man ‘subjektive Bedeutung’ meist mit weniger Kohlendioxid erschaffen, als das Produkt selbst 5-mal schneller zu machen oder größer oder luxuriöser oder schöner oder, oder, oder.
Warum das wichtig ist
Wachstum ist nach wie vor der heilige Gral in unserem Wirtschaftssystem. Technische Verbesserungen bzw. Sprünge werden mit der Zeit jedoch immer aufwendiger. Produktivitätswachstum, für bessere Unternehmensergebnisse, werden so ebenfalls herausfordernder. Ich wage hier mal zu behaupten, dass ‘psychologische Moonshots’ weitaus leichter zu erreichen sind, als ‘technologische Moonshots’. Wenn man mal darüber nachdenkt, nicht wirklich eine risikoreiche Behauptung 😉.
Nehmen wir also an, Zeit spielt eine bedeutende Rolle bei Ihrem Produkt oder Angebot. Damit meine ich, dass Ihre Kunden nichts dagegen haben, wenn es ‘schneller gehen würde’.
Dass das nicht immer der Fall ist, zeigen uns Branchen wie die Spielbranche, oder auch vieles rund um Outdoor oder Reisen. Hier dürfte es oft gerne mal länger dauern, da es gerade so viel Spaß macht.
Das Empfinden von Zeit ist ein perfektes Beispiel für eine relative Wahrnehmung. Faktisch betrachtet vergeht sie immer gleich. Subjektiv betrachtet gibt es wahre Unterschiede. Hier sind zwei Wege, wie man durch beim Thema Zeit durch einen Wahrnehmungswert einen echten Wert schaffen kann:
Angenommen, Sie bieten einen Service, bei dem Wartezeit eine Rolle spielt. Das kann die Herstellung eines Produkts sein (Fastfood, Druck von Unterlagen und deren Zusendung, personalisierte Produkte, u.ä.), das Warten auf einen Service (Taxi, Lieferdienst, Rückruf, u.ä.), beschränkter Zugang zu etwas (Event, Wissen, Wartelisten, u.ä.) und vieles mehr. Zerlegen Sie mal Ihr Angebot in alle einzelnen Schritte und Sie werden überrascht sein, wie vieles davon, aus individueller Kundensicht, als ‘Wartezeit’ empfunden werden kann.
Nun betrachten Sie jede potenzielle Wartezeit des Kunden (gerne auch eines eigenen Mitarbeiters 😉) im Kontext von ‘Ungewissheit’. Also: wartet jemand und er weiß dabei nicht genau worauf („Warum muss ich eigentlich gerade warten? Was passiert denn gerade? Muss ich noch was machen?“), oder er weiß nicht genau, wie lange noch („Haben die schon angefangen? Läuft alles nach Plan? Kann noch was dazwischen kommen?“) ?
Uber hat hier ein schönes Beispiel gebracht, wie man einen Service teilweise attraktiver gestaltet, obwohl bereits ein ähnlicher Service im Markt ist. Ein Feature in der Uber-App, das man bei den klassischen Taxis bis dato vergebens gesucht hat, ist die Umgebungskarte, mit der man die Ankunft des Uber-Fahrers in Echtzeit sehen kann. Auch bei Uber muss man warten, ebenso wie auf das normale Taxi. Bei Uber jedoch wusste man direkt, ob das ‘Uber’ auf dem Weg ist und wie lange es wohl dauern wird. Und zwar in Echtzeit. Nicht geschätzt. Individuell wird die (Warte-)Zeit hier als attraktiver empfunden. Man fühlt sich selbst in der Kontrolle, da man so besser entscheiden kann, wie man die Wartezeit verbringt („Kann ich noch einen Kaffee trinken gehen?“).Man kann den individuell empfundenen Wert von (Warte-)Zeit aber auch noch insofern verbessern, in dem man nicht versucht, die Wartezeit gefühlt zu verkürzen (wie eben in Punkt 1 angesprochen), sondern man verknüpft sie mit Wertigkeit (Warten müssen = mehr wert)
Hierfür gibt es das schöne Beispiel des Parkautomaten. Nehmen wir an, Sie sind eben an einem Parkplatz angekommen und möchten nun ein Parkticket ziehen. Das Ticket kostet Sie 1 Euro, aber leider haben Sie nur ein 2-Euro-Stück und der Automat gibt kein Rückgeld. Jetzt fragen Sie einen gerade vorbeikommenden Passanten, ober er Ihnen die 2 Euro in zwei 1-Euro-Stücke wechseln kann. Der Passant bejaht und verlangt dafür aber den zweiten Euro als Gegenleistung. Wenn Sie wie die meisten Menschen reagieren, lehnen Sie ab, da sie das für unverhältnismäßig halten.
In einem anderen Szenario kommt ebenfalls ein Passant vorbei, den Sie um Hilfe bitten. Dieser sagt Ihnen, dass er bedauerlicherweise kein Kleingeld dabei hat, er könnte aber schnell zurück zum Supermarkt um die Ecke laufen und dort wechseln. Da Sie noch ihr schlafendes Baby im Auto haben, können Sie es nicht selbst machen und nehmen dankend an. Die Person kommt wenig später wieder zurück und gibt Ihnen die zwei Euro. Egal ob diese Person jetzt um den einen Euro als Gegenleistung bittet oder nicht, Sie hätten viel weniger dagegen. Ja, vielleicht bieten Sie es sogar selbst an. Aber warum? Mal ganz objektiv betrachtet, mussten Sie bei Passant #2 sogar länger warten, als bei Passant #1. Obwohl Sie also länger warten mussten, waren Sie bereit etwas zu geben. Rational gesehen, keine gute Entscheidung.
Aber wir sind nun mal nicht rational und wertschätzen einen Einsatz von jemandem scheinbar höher ein, als unsere rational betrachtete Wartezeit. Steckt jemand Drittes also Aufwand in eine Tätigkeit, dann warten wir gerne. Schließlich bekommen wir so ja etwas für unser Geld.
Unterm Strich
Zeit ist jetzt nur ein Beispiel von vielen, wo die subjektive Empfindung der Sache und die tatsächliche rationale Betrachtung im Ergebnis auseinander dividieren können. Mit nur zwei Beispielen, wie den oben genannten, sehen Sie wie durch einen - relativ simpel - erschaffenen Wahrnehmungswert, ein realer (in diesem Fall für den Passanten sogar monetärer) Wert geschaffen wurde. Im ersten Fall durch ein Kernfeature innerhalb eines ansonsten bekannten Angebots und im zweiten Fall durch die klare Transparenz, welch Aufwand, bzw. welch bedeutenden Wege, man auf sich nimmt, speziell für Sie.
Chief Behavioral Officer gesucht
Kommen Ihre Kunden in den Genuss solch einer kommunikativen Transparenz? Dürfen Ihre Kunden teilhaben am Entstehungsprozess? Kommunizieren Sie die ‘besonderen Wege’, die Sie bereit sind für Ihre Kunden zu gehen? Oder lassen Sie all diese Hingabe und Bemühungen, die Sie in Ihre Produkte und Dienstleistungen stecken, ungenutzt verpuffen und Ihre Kunden dabei im ‘Dunkeln’. Dabei sucht der Mensch oft sogar aktiv nach solchen Informationen, um seine Kaufentscheidungen noch besser zu bekräftigen. Geben Sie ihm doch, wonach er sich so sehnt.
Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
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