Wenn gute Taten zu unerwarteten Folgen führen
Jede gute Tat zählt, aber was, wenn sie uns unbewusst zur Nachlässigkeit verleitet?
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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational zu sein als auch falsch zu liegen." Unser Werkzeug eines Chief Behavioral Officers heute:
Der moralische Reboundeffekt
Stellen Sie sich vor, ich hätte gerade eine großzügige Spende an eine wohltätige Organisation geleistet. Ein Gefühl der Zufriedenheit durchströmt mich. Ich habe etwas Gutes getan, ein Beitrag zur Besserung der Welt. Doch dann passiert etwas Seltsames. Beim nächsten Einkauf entscheide ich mich für die billigere, nicht nachhaltig produzierte Ware. Warum? Weil ich unbewusst denke, dass ich bereits „meinen Teil“ beigetragen habe.
In einem Café überhöre ich, wie jemand über die Klimakrise spricht. Normalerweise würde ich mich beteiligen, aber heute schweige ich. Ich habe doch schon meinen Beitrag geleistet, oder? Diese innere Rechtfertigung lässt mich weitere Verantwortung ablehnen.
Beim Abendessen mit Freunden prahle ich sogar ein wenig mit meiner guten Tat. Doch als es um die Organisation einer gemeinnützigen Veranstaltung geht, halte ich mich zurück. Ich habe das Gefühl, schon genug getan zu haben. Dieses Phänomen, bei dem eine gute Tat zu einer nachlassenden moralischen Wachsamkeit führt, ist bekannt als der moralische Reboundeffekt.
Wie funktioniert das? Science, baby!
Der moralische Reboundeffekt ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen nach einer guten Tat unbewusst weniger moralische Standards in nachfolgenden Handlungen anlegen. Es ist, als hätte das Gehirn ein internes moralisches Kontobuch, das nach einer „Einzahlung“ eine Art „moralischen Kredit“ schafft. Dieser Kredit erlaubt es uns, uns in nachfolgenden Situationen weniger ethisch zu verhalten, ohne Schuldgefühle zu empfinden.
Dieses Verhalten wird oft durch kognitive Dissonanz und Selbstlizensierung angetrieben. Kognitive Dissonanz tritt auf, wenn unsere Handlungen nicht mit unseren Überzeugungen übereinstimmen. Um diesen unangenehmen Zustand zu mindern, rechtfertigen wir unser weniger moralisches Verhalten. Die Selbstlizensierung wiederum ist ein Prozess, bei dem wir uns selbst die Erlaubnis erteilen, nach einer guten Tat weniger streng mit uns selbst zu sein.
Warum das wichtig ist?
Der moralische Reboundeffekt beeinflusst unser Verhalten in einer Weise, die oft unseren eigenen Werten und Absichten widerspricht. Er zeigt, dass selbst gut gemeinte Handlungen unbeabsichtigte Konsequenzen haben können. Es ist wichtig, sich dieses Phänomens bewusst zu sein, da es unsere Fähigkeit beeinträchtigen kann, konsequent ethisch und verantwortungsbewusst zu handeln.
Indem wir den moralischen Reboundeffekt verstehen und erkennen, können wir bewusster handeln und sicherstellen, dass unsere guten Taten nicht zu einer Entschuldigung für nachlässiges oder unethisches Verhalten in anderen Bereichen unseres Lebens werden. Dieses Bewusstsein ist entscheidend, um eine authentische, integre Persönlichkeit zu entwickeln und zu erhalten.
Es geht nicht nur darum, uns selbst in einem besseren Licht zu sehen, sondern auch darum, die tatsächlichen Auswirkungen unserer Handlungen auf die Welt und die Menschen um uns herum zu verstehen und zu berücksichtigen. Der moralische Reboundeffekt kann insbesondere in Führungspositionen oder in der Politik problematisch sein, wo Entscheidungen weitreichende Konsequenzen haben können. Führungskräfte, die sich auf ihre vergangenen Leistungen berufen und dadurch weniger verantwortungsvoll in der Gegenwart handeln, können das Vertrauen ihrer Teams und die Wirksamkeit ihrer Organisationen untergraben.
Außerdem spielt der Effekt eine Rolle in unserem alltäglichen Leben, in den kleinen Entscheidungen, die wir treffen. Zum Beispiel können wir nach dem Kauf eines umweltfreundlichen Produktes weniger achtsam im Umgang mit Ressourcen sein, weil wir das Gefühl haben, „unser Teil“ für die Umwelt schon getan zu haben. Diese kleinen Entscheidungen summieren sich jedoch und haben einen großen Einfluss auf unsere Umwelt und Gesellschaft.
Ein weiterer Aspekt ist die Selbstwahrnehmung. Wenn wir uns selbst als „gute Menschen“ aufgrund einzelner Taten sehen, könnten wir blind für Bereiche werden, in denen wir uns verbessern müssen. Diese Selbstzufriedenheit kann unser Wachstum hemmen und uns daran hindern, unser volles Potenzial als verantwortungsbewusste Individuen auszuschöpfen.
Letztlich ist es wichtig, sich mit dem Phänomen des moralischen Reboundeffekts auseinanderzusetzen, weil es uns hilft, ein ausgewogeneres und ganzheitlicheres Verständnis für Ethik und Moral zu entwickeln. Es lehrt uns, dass kontinuierliches Engagement für das Gute und die ständige Reflexion unserer Handlungen unerlässlich sind, um wirklich positive Veränderungen in der Welt und in uns selbst zu bewirken.
Und jetzt?
Mit dem Wissen um den moralischen Reboundeffekt können Sie heute Ihren Tag bewusster gestalten. Achten Sie darauf, dass eine gute Tat nicht als Freifahrtschein für weniger verantwortungsbewusstes Handeln dient. Bleiben Sie sich Ihrer Werte und Ziele bewusst und hinterfragen Sie Ihre Motive und Handlungen.
Unterm Strich
Kern des Wissens: Eine gute Tat kann unbewusst zu nachlassender moralischer Wachsamkeit in anderen Bereichen führen. Dieser Effekt, bekannt als der moralische Reboundeffekt, zeigt auf, wie komplexe unser moralisches Empfinden und Handeln ist. Es reicht nicht aus, sich auf einzelne gute Taten zu verlassen, um ein moralisch integres Leben zu führen. Vielmehr bedarf es einer fortlaufenden Reflexion und eines beständigen Bemühens, in allen Aspekten unseres Lebens ethisch zu handeln.
Checkliste für alltägliche Entscheidungen:
Hinterfragen Sie Ihre Motive nach einer guten Tat.
Bleiben Sie Ihren ethischen Standards auch nach einer guten Tat treu.
Seien Sie sich der möglichen Reboundeffekte bewusst.
Vermeiden Sie Selbstgerechtigkeit und Selbstlizensierung.
Diese Checkliste dient als Kompass für tägliche Entscheidungen und hilft uns dabei, uns nicht auf unseren Lorbeeren auszuruhen, sondern stets aktiv an unserem moralischen Charakter zu arbeiten. Der moralische Reboundeffekt ist eine Erinnerung daran, dass Ethik und Moral dynamische Prozesse sind, die kontinuierliche Aufmerksamkeit und Engagement erfordern. Indem wir uns dieser Herausforderung stellen, können wir zu authentischeren, verantwortungsvolleren Individuen werden und eine positivere Wirkung auf unsere Umwelt und Gesellschaft haben.
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