Wenn mehr Verstehen weniger Verständnis bedeutet
Warum Experten manchmal die schlechtesten Erklärer sind und wie man sich in die Schuhe des Anfängers stellt.
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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational zu sein als auch falsch zu liegen." Unser Werkzeug eines Chief Behavioral Officers heute:
Fluch des Wissens
Als ich das Konferenzzimmer betrat, spürte ich ein Kribbeln der Aufregung. Heute würde ich das Software-Tool präsentieren, an dem wir monatelang gearbeitet hatte. Ich blickte in die Runde – ein Dutzend Personen, gespannt auf das, was ich vorzustellen hatte.
"Ich möchte euch 'Tabi' vorstellen", begann ich und klickte auf die erste Folie, die ein komplexes Diagramm zeigte. "Wie ihr seht, basiert das Tool auf einer Reihe von wissenschaftlichen Methoden, die sich dem aktuellsten Wissen rund um das Growth Mindset und des Progress Principle bedienen, um..."
Ich redete und redete, erklärte die technischen & methodischen Feinheiten, die mich begeisterten. Doch als ich aufblickte, sah ich nur leere Blicke. Meine Begeisterung wich einer schweren Stille. In meinem Eifer, hatte ich die Einfachheit übersehen, die Grundlagen, die für mich selbstverständlich waren, aber für meine Kollegen ein Buch mit sieben Siegeln.
In diesem Moment wurde mir klar, dass ich Opfer des Fluchs des Wissens (oft besser bekannt als ‘Curse of Knowledge Bias’) geworden war. Ich hatte angenommen, dass alle im Raum meine Sprache sprachen, doch ich hatte sie in meiner eigenen Welt des Verständnisses zurückgelassen.
Wie funktioniert das? Science, baby!
Ich war also in die Falle des "Fluchs des Wissens" getappt. Dieses Phänomen, das in der kognitiven Psychologie gut dokumentiert ist, tritt auf, wenn ein Informierter die Schwierigkeit unterschätzt, die ein weniger Informierter hat, sich neues Wissen anzueignen. In meiner Präsentation hatte ich unbewusst vorausgesetzt, dass meine Zuhörer über das gleiche Vorwissen und die gleiche Begeisterung für die notwendigen Details verfügten wie ich.
Doch die Wissenschaft zeigt, dass Wissen eine kognitive Last erzeugen kann, die die Kommunikation erschwert. Experten neigen dazu, die Tiefe ihres Verständnisses zu übersehen und zu erwarten, dass andere ihre komplexen Erklärungen mit Leichtigkeit nachvollziehen können. Dies führt oft zu Missverständnissen und einer Kommunikationslücke, die schwer zu überbrücken ist, wenn sie einmal entstanden ist.
Die Herausforderung besteht darin, sich bewusst zu machen, dass das eigene Expertenwissen nicht allgemein geteilt wird. Es erfordert eine Anpassung der Kommunikation, um sicherzustellen, dass die Kernbotschaften verständlich und zugänglich sind. In meiner Situation hätte eine schrittweise Einführung in die Grundlagen und eine Anpassung der Sprache an das Publikum die Verständlichkeit erheblich verbessert und die Brücke zwischen meinem Wissen und dem meiner Zuhörer geschlagen.
Der fast schon krankhafte Wunsch der Zuhörer, alles schnell und einfach erklärt zu bekommen, verstärkt die Häufigkeit des Auftretens des ‘Fluch des Wissens’ vielfach, da man die benötige Zeit für das ‘Mitnehmen’ der Zuhörer kaum noch bekommt. (Persönlicher Kommentar des Autors)
Die Psychologie dahinter basiert auf der Schwierigkeit, sich in die Perspektive von jemandem zu versetzen, der weniger weiß oder versteht. Dadurch werden Erklärungen und Kommunikationen oft zu komplex und voraussetzungsvoll gestaltet, was das Verständnis für die Zuhörer oder Lernenden erschwert.
Warum das wichtig ist?
In einer Welt, in der Wissen exponentiell wächst und die Spezialisierung zunimmt, ist der "Fluch des Wissens" ein stiller Störenfried, der die Brücken der Kommunikation untergräbt. Es ist ein Phänomen, das uns alle betrifft – vom Lehrer, der versucht, komplexe Konzepte zu vermitteln, bis hin zum Ingenieur, der seine neueste Erfindung präsentiert.
Stellen Sie sich eine Bibliothek vor, gefüllt mit den umfangreichsten und detailliertesten Büchern zu jedem Thema, das man sich vorstellen kann. Jedes Buch ist ein Universum für sich, voller spezifischer Terminologie und komplexer Ideen. Nun betritt jemand diese Bibliothek, jemand ohne Ihr Fachwissen. Wie führen Sie diese Person durch diesen Wald aus Wissen, ohne sie zu verlieren?
Die Auseinandersetzung mit dem "Fluch des Wissens" ist wichtig, weil sie uns lehrt, unsere Botschaften so zu gestalten, dass sie verständlich und zugänglich sind. Es geht darum, die Essenz unserer Gedanken zu destillieren und sie in einer Sprache zu präsentieren, die resoniert. Es ist eine Fähigkeit, die in einer Welt, in der wir ständig Informationen austauschen, unerlässlich ist.
Indem wir lernen, uns in diejenigen hineinzuversetzen, die nicht über unser Wissen verfügen, können wir Brücken bauen, die Verständnis und Zusammenarbeit fördern. Es ist eine Kunst, die nicht nur im professionellen Kontext, sondern auch im persönlichen Leben von unschätzbarem Wert ist. Denn letztendlich ist es die Verbindung zwischen Menschen, die unsere Gesellschaft voranbringt, und diese Verbindung wird durch klare und einfühlsame Kommunikation gestärkt.
“Ich nahm einen tiefen Atemzug und begann von vorn. "Lasst uns einen Schritt zurücktreten", sagte ich. "Stellt euch 'Tabi' als euren persönlichen digitalen Assistenten vor, der euch dabei hilft, jeden Tag ein bisschen besser zu werden. Es ist wie ein Fitness-Tracker, aber für eure berufliche Entwicklung." Ich sah auf und bemerkte, wie die Augen meiner Kollegen zu leuchten begannen. Die Wellen hatten endlich das Ufer erreicht.”
Und jetzt?
Mit dem Bewusstsein über den "Fluch des Wissens" in der Tasche, steht Ihnen nun ein Werkzeug zur Verfügung, das Ihre Kommunikationsfähigkeiten revolutionieren kann. Beginnen Sie den Tag mit einer einfachen Übung: Erklären Sie ein Konzept, das Ihnen vertraut ist, einem Freund oder Kollegen, der in diesem Bereich ein Laie ist. Achten Sie darauf, einfache Analogien zu verwenden und jargonfreie Sprache zu wählen.
Vor vielen Jahren habe ich selbst das mal unter der Überschrift “Wie Du Gamification Einfach Deiner Mutter Erklärst” versucht. Sagen Sie es mir, wie gelungen das war.
Wenn Sie heute eine Präsentation halten, nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um Ihre Inhalte zu überprüfen. Stellen Sie sicher, dass Sie die Grundlagen klar darlegen, bevor Sie in die Tiefe gehen. Visualisieren Sie Informationen, wo immer es möglich ist, und ermutigen Sie Fragen, um sicherzustellen, dass Ihr Publikum mit Ihnen Schritt hält.
In jeder E-Mail, die Sie heute schreiben, überprüfen Sie, ob Sie Annahmen über das Vorwissen des Empfängers treffen. Könnte jemand, der keine Vorkenntnisse hat, Ihre Nachricht verstehen? Wenn nicht, fügen Sie kurze Erklärungen oder Kontextinformationen hinzu.
Nutzen Sie das Wissen um den "Fluch des Wissens", um bewusst Pausen in Gesprächen zu machen und um Feedback zu bitten. Dies gibt Ihnen die Möglichkeit, Missverständnisse zu klären und sicherzustellen, dass Ihre Botschaft ankommt.
Indem Sie diese Praktiken in Ihren Alltag integrieren, werden Sie nicht nur effektiver kommunizieren, sondern auch tiefere und bedeutungsvollere Verbindungen zu den Menschen um Sie herum aufbauen.
Unterm Strich
Der "Fluch des Wissens" beschreibt das Phänomen, dass Experten Schwierigkeiten haben, ihr Wissen verständlich zu kommunizieren, weil sie sich nicht mehr in die Perspektive eines Laien versetzen können.
Hier ist eine Checkliste, um den "Fluch des Wissens" im Kontext alltäglicher Entscheidungen zu berücksichtigen:
1. Zielgruppenbewusstsein: Überlege, wer dein Publikum ist und welches Vorwissen es hat.
2. Einfachheit priorisieren: Vermeide Fachjargon und komplizierte Erklärungen.
3. Feedback einholen: Frage nach Rückmeldung, um sicherzustellen, dass deine Botschaft verstanden wurde.
4. Storytelling nutzen: Verwende Geschichten und Beispiele, um komplexe Ideen greifbar zu machen.
5. Visualisierung einsetzen: Nutze Bilder, Diagramme oder andere visuelle Hilfsmittel zur Veranschaulichung.
6. Empathie üben: Versetze dich in die Lage des Empfängers deiner Nachricht.
7. Schrittweise erklären: Zerlege Informationen in kleine, verständliche Schritte.
8. Geduld bewahren: Gib deinem Gegenüber Zeit, das Gesagte zu verarbeiten und zu verstehen.
9. Anpassungsfähigkeit zeigen: Sei bereit, deine Erklärungsmethode zu ändern, wenn sie nicht funktioniert.
10. Reflexion: Überprüfe regelmäßig, ob du selbst dem "Fluch des Wissens" unterliegst.
Diese Checkliste kann dir helfen, bewusster zu kommunizieren und sicherzustellen, dass deine Entscheidungen und Erklärungen für andere nachvollziehbar und zugänglich sind.
Chief Behavioral Officer gesucht
Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
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