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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
Survivorship Bias
Da feiert ein Team: Alle sind gut gelaunt, stolz auf Erfolge, Korken krachen, Work hard - Party harder! Und ich - wie ich eben bin - schaue mich um: wo ist denn der Rest, der das mit-möglich gemacht hat?
Um was es geht
Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell Leute vergessen: Einfach, weil sie gerade nicht da sind. Je größer die Organisation, desto mehr fällt das auf. Es betrifft Kolleg:innen im Meeting, die Putzkräfte und das Office Management, Non - Desk Workers, Bewerber:innen, die beim Auswahlprozess nicht durchkommen, und nicht zuletzt die Kund:innen, die noch keine sind.
Der Survivorship Bias beschreibt die logischen Logikfehler, die dadurch entstehen, dass wir uns bei vielen Analysen oder Schlussfolgerungen die falsche Grundmenge anschauen. Oder anders gesagt: Wir vergessen Dinge, die man nicht sieht.
Seinen Ursprung hat das Ganze im Zweiten Weltkrieg. Die Armee wollte Flugzeuge verbessern. Also haben sie die "Überlebenden" (Survivor) mitsamt ihren Flugzeugen nach Schusslöchern abgesucht und diese notiert. Hier ist ein Bild davon.
Wie würden Sie mit dieser Information weiter vorgehen?
Die meisten sehen ganz klar die Stellen mit den Löchern und klar: diese verstärken wir. Aber denken Sie noch einmal nach: Die Stellen, an denen die Überlebenden keine Einschusslöcher hatten - das ist eine Information, die man genau beachten muss. Müssten die Kugeln nicht überall gleichmäßig verteilt sein? Wieso sind da keine Einschusslöcher, wo doch welche da sein müssten? Wo sind diese Löcher?
Richtig: bei denen, die nicht überlebt haben. Die Abwesenheit von Löchern ist der Grund, wieso Löcher in Familienleben gerissen wurden. Um das zu verhindern, muss also die Stelle verstärkt werden, die tatsächlich makellos erscheint.
Der Effekt taucht immer und immer wieder in so ziemlich jedem Aspekt unseres Lebens auf.
Fondsmanager täuschen so (sicher unwissentlich) über die Qualität ihrer Produkte, weil schlicht gescheiterte Unternehmen herausgerechnet und entfernt werden.
Wunderschöne Gebäude erhalten sich auch deshalb über Jahrhunderte, weil eben die hässlicheren abgerissen wurden. Nicht die Baukunst war generell besser, die besser gebauten wurden ausnahmsweise stehen gelassen.
Nicht zuletzt in der Medizin entsteht dieses Problem. Neue Therapieverfahren werden erst angewandt, wenn die bisherigen gescheitert sind. Die Zeit spielt gegen das Leben.
Weitere Beispiele finden Sie hier bei Wikipedia (auch einzelne in der deutschen Version).
Die begeisternden Erfolgsstorys von Unternehmen, Gründer:innen oder anderen Personen des öffentlichen Interesses sind angesichts der Menge an Menschen, die diesen Weg gehen, ein schöner Punkt, um zu motivieren, aber ein schlechter, wenn es um realistische Erfolgseinschätzung geht. In Deutschland scheitern so 75 % der Start-ups im ersten Jahr (die Zahl kommt von hier: https://spdload.com/blog/startup-success-rate/ ).
Warum das wichtig ist
Wir überschätzen den Erfolg, wenn Misserfolge schlicht nicht auftauchen. Den Survivorship Bias zu beachten heißt auch die Gefallenen und das Scheitern einzubeziehen - um sich anzuschauen, wie man der nächsten Generation bessere Chancen ermöglicht. Egal, wie schmerzhaft das ist.
Wie das gelingen kann?
Machen Sie gedankliche Zeitreisen: Welche Optionen waren am Anfang noch im (Konkurrenz-)Rennen? Was ist auf dem Weg bisher passiert, dass es weniger (Kund:innen, Mitarbeitende, Abschlüsse) wurden? Können Sie jetzt Ihre Vorhersage machen und auch die ausscheidenden Faktoren weiterverfolgen?
Nutzen Sie gute Statistik: nicht nur Metastudien können auffälliges Fehlen von Veröffentlichungen feststellen (siehe Publication Bias im CBO Nugget: Ich habe Recht!) auch Analysen zu Missings (fehlenden Daten) und gutes Sampling (Stichprobenauswahl) können das Nicht-Vorhandensein von Information als Information nutzen. Fragen Sie zum Beispiel einen Kunden, der Ihr Produkt nicht gekauft hat, wie es zur Entscheidung dagegen kam (und was Sie noch bieten könnten).
Schaffen Sie psychologische Sicherheit, um Fehler, Befinden und Misserfolge im Team anzusprechen. So entstehen nicht nur bessere Produkte, auch Innovation wird möglich und die Leistung steigert sich.
(Wie das geht? A. Edmonson ist die Expertin. Hier ihr Buch; und hier ihr TedTalk:
Es geht immer darum, sichtbar zu machen, was eben nicht mehr sichtbar ist. Und respektvoll daraus zu lernen.
Unterm Strich
Ich habe übrigens den Rest des Teams gefunden: Die waren auch glücklich. In Gedanken schon bei den nächsten Aufgaben, mit Ideen, was an Innovation noch möglich ist: nur eben bei einem ruhigen Glas Wein - Genuss und Feiern auf ihre Weise. Gut zu wissen, dass man Partys auch anders überleben kann.
Chief Behavioral Officer gesucht
Welche Personen werden in Ihrer Organisation überhört, übersehen oder schlicht vergessen? Und haben vielleicht gerade deshalb innerlich schon gekündigt? Welche Probleme und Misserfolge tauchen gar nicht erst auf? Gibt es Innovationen, die vielleicht eine zweite Chance brauchen? Und wie könnten Sie Nicht-Kund:innen befragen?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
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