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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
IKEA - Effekt
Es gibt diesen Stuhl in meiner Wohnung, der fällt fast auseinander. Der Bezug ist abgegriffen, richtig bequem ist er nicht, modisch sowieso keine Meisterleistung. Aber er ist irgendwie mein Lieblingsstück. Genauso gibt es auf der Arbeit dieses eine Template, dass sicher nicht mehr dem Designstandard von 2022 entspricht – aber irgendwie ist es mir lieber als alle anderen. Und mein selbstgemachter Kuchen – ist vielleicht trocken und nicht hübsch anzusehen. Aber er schmeckt: fantastisch!
Um was es geht
Der IKEA Effekt beschreibt das Phänomen, dass Konsumenten, wenn sie etwas selber zusammenbauen, bereit sind, mehr dafür zu bezahlen. Selber etwas tun zu müssen scheint also besser zu sein als es nicht tun zu müssen. Klingt komisch, ist es auch.
Beobachtet wurde das nicht nur bei den Nachbarn, die ihre selbstgebauten Möbel so wunderbar finden, oder Kinder, die ihre Bilder ins Louvre hängen möchten. Es gibt auch eine Geschichte und Befunde dazu:
In den Fünfzigern wurden so Backmischungen in Amerika neu konzipiert. Eigentlich kann man Milch, Fett, Ei alles in Pulverform beifügen: nur ließ sich das Produkt nicht verkaufen. Also wurde das Produkt neu gestaltet: Man muss eben noch Ei, Öl und/oder Milch hinzufügen. Weil dann ja wirkliches Handwerk der guten Hausfrau drinsteckt. Auf einmal war es ein Erfolg: obwohl das Produkt eigentlich mehr Aufwand produzierte als notwendig.
Wenn man Menschen in Experimenten Origami-Figuren falten lässt, zeigt es sich ebenso: je mehr Aufwand darin steckt, desto wertvoller wurden die Kraniche bewertet. Auch wenn das Ergebnis sicher nicht flugfähig war.
Und sogar Mäuse scheinen Geschmäcker mehr zu lieben, für die sie erst Aufwand betreiben mussten. (Hier geht’s zur Studie.)
Es gibt noch Forschung zu tun, um zu klären, wann dieser Effekt denn genau auftritt und wann nicht. Er gilt anscheinend nicht für jedes Preissegment, auch nicht, wenn man es nicht fertig bauen kann oder der Aufwand, den man reingesteckt hat, verpufft. Ebenso ist es relevant, wie schwierig der eigene Beitrag ist und ob die Chance daran zu scheitern besteht. Ganz so einfach ist es also nicht. Die Befundlage ist bunt und gerade auch deshalb ein wunderbares Forschungsfeld für einen CBO.
Wie erklärt man sich den Effekt?
Eine Erklärung ist der Besitztums – Effekt / Endowment Effekt: Dinge, die einem gehören hält man tendenziell für wertvoller als Dinge, die man nicht als Eigentum betrachtet. Durch das daran bauen wird der Gegenstand sozusagen zum „psychologischen Eigentum“ und daher wertvoller. (In dieser Studie wird beispielsweise so argumentiert.)
Eine andere Erklärung liefert die Kognitive Dissonanz, bzw. die Rechtfertigung des Aufwands / Effort - Justification: wenn man Zeit und Aufwand in eine Sache steckt, muss es doch einen Unterschied machen. Vielleicht sieht man den nicht objektiv messbar - aber wieso hätte man es denn dann tun sollen? Dieses Dilemma wird einfach kognitiv umdefiniert: Das Produkt ist schlicht mehr wert, weil man es selber gemacht hat.
Warum das wichtig ist
Dass Dinge durch „selber machen“ ihren subjektiven Wert verändern, ist natürlich für die Wertschöpfung höchst interessant:
Vielleicht gibt es ein Produkt in ihrer Firma, das man als Kunde mit-gestalten kann. Neben IKEA gibt es zum Beispiel die Build-a-Bear Workshops, die Salatbar in der Kantine und Hello Fresh als Zutatensammlung zum selber Kochen. Es kann ein Kern ihrer Produkte sein, dass Leute sie sich durch Aufwand selbst zu eigen machen: und dabei Spaß haben. Aber auch durch die Chance es zu personalisieren, selber aktiv mitzugestalten und psychologischer Mit-Eigentümer zu werden. Statt nur Konsument zu sein, werten sie etwas durch die eigene Leistung auf. (Das funktioniert übrigens, auch wenn sie Ihrem Kind den Brokkoli nahe bringen wollen. )
Auch für einen selbst gilt: eine Idee, in die man selbst viel investiert hat, ist natürlich besser als andere (siehe auch die selbstwertdienliche Attribution). Dieses „Überschätzen“ an Qualitäten und Wert, gilt es immer kritisch zu prüfen.
Dass man „Betroffene zu Beteiligten“ macht, wenn man in der Organisation etwas verändert, sollte mittlerweile jeder wissen. Die Forschung um den IKEA Effekt lässt auch weitere Aspekte hinzukommen: denken Sie daran, dass die Mitarbeiter:innen auch ihren eigenen Beitrag umgesetzt oder „voll aufgebaut“ sehen sollten. Oder zumindest präsentiert (wenn es schon nicht umgesetzt wird). Beachten Sie auch, dass Dinge, die kein Risiko für den Selbstwert darstellen, ebenfalls wichtige Gestaltungschancen sind - wie eine kleine BrownBag-Session oder schlicht die Personalisierung des Arbeitsplatzes. Damit es eben ganz der eigene ist.
Sehr empfehlenswert zum Thema: der TedTalk “What makes us feel good about work?” von Dan Ariely.
Unterm Strich
Nicht nur die Dinge, die uns gehören: auch das, wozu wir etwas beigetragen haben, bekommt einen ganz eigenen Wert. Vielleicht nicht durch die Funktionalität im Sitzen, die Ästhetik in der Folien-Oberfläche oder dem Kuchengeschmack: ganz sicher aber in der Lebenszeit, die wir reingesteckt haben. Und das darf man nicht nur bemerken: Man sollte es als genau das anerkennen und vielleicht auch einpreisen. Als Familie, Kollege und CBO ganz besonders.
Chief Behavioral Officer gesucht
Was haben Sie selbstgemacht? Und liegt der Stolz darauf in der Sache begründet? Wo kann Ihr Kunde sich ein Produkt ganz „zu eigen“ machen? Und wo setzen Ihre Mitarbeiter:innen ihre Ressourcen ein, ohne dass diese selbst den Erfolg sehen? Wie können Sie den Aufwand wertschätzen? Und wie machen Sie klar, dass jeder am Unternehmen mit-baut?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
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