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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam auch an diesem Dienstag in die wunderbare Welt des menschlichen Verhaltens.
Wahrheitsurteile
Spielen wir ein Spiel: Was ist wahr, was ist falsch?
Schottlands Nationaltier ist das Einhorn.
Im Kamelhöcker wird Wasser gespeichert.
Schweine schwitzen nicht.
E-Fuels sind das neue Benzin.
In Alaska ist eine Katze Bürgermeister.
Und nun machen wir die Sache noch spannender: Was fühlt sich wahr an? Was falsch? Und wie erklären sie sich das? Die Antwort gibt s am Ende.
Um was es geht
Egal ob Trumps Präsidentschaft, ChatGPT oder Kriegspropaganda. Die Suche nach Wahrheit wurde in unserer Zeit scheinbar abgelöst von der Suche nach Aufmerksamkeit. Umso wichtiger wird es, sich damit auseinanderzusetzen, woran wir Wahrheiten festmachen.
Den Wahrheitsgehalt einer Information beurteilen wir nach aktuellem Forschungsstand anhand dreier separater Merkmale:
Vertrauensvorschub: Unsere Startannahme ist, dass jeder die Wahrheit sagt. Wenn ein Bild als Beweis dabei ist, nochmal mehr.
Wissensabgleich: Wer ist die Quelle? Und wie passt das zu unserem bisherigen Wissens- und Erfahrungsstand? Passt es ins Bild, wird es schon stimmen.
Bauchggefühl: besonders wichtig ist unser Gefühl. Konkreter: Fluency – also die Leichtigkeit mit der wir uns etwas vorstellen können. Ergänzend auch unsere Laune: in guter Stimmung sind wir zum Beispiel vertrauensseeliger.
Als Heuristiken sind alle drei Hinweise gut geeignet. Ja, in der Regel können wir unseren Mitmenschen vertrauen. Ja, wenn etwas zu unserem Wissen und unseren Erfahrungen passt, wird es auch stimmen. Und ja, wenn sich etwas gut anfühlt und kein komisches Gefühl auslöst, sind wir tendenziell ebenso auf der sicheren Seite. Es gilt das Heuristik-Prinzip: nutze schnelle, relevante Informationen und ein gutes Urteil entsteht.
Andererseits lösen genau diese Prozesse auch Fehlschlüsse aus. Hier drei mal vier Ideen aus dem Forschungsüberblick.
Fauler Vertrauensvorschub
Menschen (auch Sie!) sind denkfaul. Statt selber Informationen zu sammeln, vertrauen wir auf andere. Überraschend: Politische Fake News werden weniger aus inhaltlicher Überzeugung geglaubt, sondern schlicht, weil wir zu faul sind, sie zu überdenken.
Bilder wirken. Daher lohnt es sich Faktenchecks als Information mit Bild zu erstellen. Es gilt: „Ich glaube das erst, wenn ich es sehe“.
Auch Googeln (die Tätigkeit, nicht das Unternehmen) sorgt messbar für Vergessen von leicht verfügbaren Informationen (auch als Google Effekt bekannt).
Das ist auch schwierig, da die Plattform nicht die Wahrheit sucht, sondern Ihre Frage beantwortet. Durch die aktive Suche wird Self-Confirmation bedient.
Wie genau sich das langfristig auf unsere Wahrheitsfindung, kritisches Denken und Dialogkompetenz auswirkt, ist noch immer schwer absehbar.
Abgleich mit welchem Wissen?
Wenn wir kuriose Informationen bekommen oder sie nicht in unser Weltbild passen, werden wir sie erstmal ablehnen. Jeder hat gern recht! Beispiel: Die Forschungsergebnisse, dass eine 4-Tage-Woche bei gleicher Leistung einführbar ist, ist für viele so fremd, dass es „nicht sein kann“ und direkt ein „kein Bock auf Arbeit“ als Argument kommt.
Wenn man etwas öfters hört - oder auch nur oft genug hört - scheint es auf einmal wahr zu sein. Auch bekannt als der Wahrheitseffekt oder auch Illusory Truth Effect. Um diesen Effekt auszulösen, reicht schon eine Wiederholung. Werbung nutzt das seit jeher mit Slogans und Jingles: „Haribo macht…“
Da wir die Quelle einer Information bei der Beurteilung herannehmen, lässt sich über die Merkmale guter Informationen auch manipulieren. Oft genutzt werden Titel, Quellen im Text und namhafte Referenzen. Noch viel kritischer daran: Wir erinnern die Quelle selbst als Information separat von der Information an sich. Das eine ist semantischen Gedächtnis (Wissen / Fakten), das andere im Quellengedächtnis (Source Memory) oder episodischem Gedächtnis (die Soap-Folgen der eigenen Lebenserfahrungen). Das führt dazu, dass Quellen im Nachhinein verändert werden. Beispiel: Statt aus der BILD haben wir das sicher aus der Süddeutschen. Dieses Tool stammt nicht aus einem LinkedIn Artikel, sondern sicher ein Fachjournal. Auch dieser Effekt ist als ein Bias bekannt: Source Confusion.
Passiert nur anderen 😅: der Dunning-Kruger-Effekt. Gerade wenn wir etwas Neues lernen, überschätzen wir unsere Kompetenz und unser Wissen. BONUS: Und daher neigen wir auch dazu, darauf bezogene, radikale, verrückte Ideen eher, als wahr zu empfinden. Wenn man zum Beispiel nur grundlegend weiß, dass es Gentechnik gibt, glaubt man auch eher an genetische Superorganismen, die uns alle ausrotten wollen.
Grummeln im Bauchgefühl
Und ja, auch unsere Emotionen sind so eine Verführungsmaschine. Passives Einkommen! Nie wieder arbeiten. Lockiges Haar! Wie jung Sie aussehen werden! Klingt zu gut, um wahr zu sein? Aber es klingt gut. Geben wir dem eine Chance, es wahr sein zu lassen. Das ist die Basis mancher Geschäftsmodelle (siehe die Betrugsmasche „Business Coaches“ beim ZDF Magazin Royale letzten Freitag).
Die Leichtigkeit, mit der wir die Information abrufen (Fluency), lässt sich auch einfach beeinflussen: Wenn etwas leichter zu verstehen ist, wird es auch eher als wahr angenommen. Einfacher Text, fett, mit Emojis 😉 ist wahrer als Texte, die schlecht zu lesen sind. Die wiederum werden eher kritisch und durchdachter gelesen: Die manchmal unbeabsichtigte Folge ist kritische Auseinandersetzung mit dem Text und besseres Erinnern an die Inhalte.
Wichtig zu wissen: Fluency trumpft Vorwissen. Wenn etwas glaubwürdig klingt, kann es sein, dass wir wider besseres Wissen als wahr empfingen. Merke: ein wichtiger Grund für Rhetorik Trainings. Der Effekt tritt erstaunlicherweise bei älteren Menschen seltener auf.
Das Wörtchen „Nicht“ wird nicht gespeichert. Stattdessen erhöht es die Fluency der Falschinformationen. Besser ist es, die Fakes mit korrekten Informationen zu überschreiben. Statt - Impfung verursacht Autismus nicht! - Genetische Faktoren sind Hauptursache für das Auftreten von Autismus.
Warum das wichtig ist
Gartner Trend sagte 2017 voraus, dass wir 2022 mehr falsche Informationen als Fakten konsumieren. Ein Trend, der sich gefühlt bestätigt.
Umso wichtiger ist es zu wissen, wie wir unseren Wahrheitssinn schärfen. Als CBO beachten Sie folgende Tricks:
PresseKodex Im Journalismus gilt es zu Recht Grundsätze, die es einzuhalten gilt. Eine Tatsache ist es erst, wenn Sie mindestens zwei unterschiedliche Quellen dazu haben. Prüfen Sie Grundannahme und Ableitungen. Nur weil etwas plausibel erscheint, ist es noch lange nicht wahr. Und vor allem: Veröffentlichen (und sharen) Sie nur das, was Sie auch geprüft haben!
Ein charmanter Zugang zu Wahrheit und dem, was wir wissen können, ist der Konstruktivismus. Der Mensch ist ein Sinn-Geber und wird immer versuchen ein sinnvolles Weltbild zu generieren. Statt alles als absolut zu sehen: Sehen sie es als derzeit plausibelste Theorie. Vor ein paar Jahren dachten wir Atome wären der kleinste Baustein im Universum. Jetzt wissen wir es besser. Gute Theorien lassen sich prüfen und räumen immer auch ein, dass man falsch liegen kann. Lassen Sie Menschen Argumentieren! Denken Sie kritisch! Nehmen Sie andere Blickwinkel, Wissensstände und Emotionen auf! Testen Sie Annahmen! Ergänzen Sie Fakten statt zu negieren!
Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. – H.v.Förster
Umgang mit Lügen Achten sie in Diskussionen darauf selbst erstmal positiv dazustehen. Gepflegtes Auftreten, Lächeln, Zuversicht und Souveränität hilft. Aktivieren Sie Vorwissen Ihres Gegenübers und Fokussieren sie Tatsachen, die nicht zur Debatte stehen. Es ist immer gut erst Gemeinsamkeiten zu finden. Wenn sie eine Falschaussage hören: wiederholen Sie sie nicht: Überschreiben Sie die Aussage mit der korrekten Information. Aus einer Online Diskussion: - Sie Autohasser! – Erstens: Ich mag Autos. Zweitens: Das ist eine Beleidigung und kein Argument. Wie kommen Sie darauf? Laden sie zum Denken ein, statt aus dem Bauch heraus zu stürmen!
Filterstrategie: Konsumieren Sie weniger Müll! Falsche Informationen wirken. Allein der Kontakt beeinflusst Ihre Wahrnehmung. Auch wenn Sie wissen, dass es falsch ist: die Quelle wird vergessen. Sei es die Krimi- oder Arztserie, die Chatgruppe der Verwandtschaft oder das uneigennützige Presseportal Ihrer Lieblingsagentur. Achten Sie auf Qualität in Forschung (neutral, unabhängig) und Veröffentlichung (Journalismus nach Pressekodex).
Unterm Strich
Wie versprochen, die Auflösung:
Nein: im Kamelhöcker ist Fett statt Wasser.
Ja: Schweine haben keinen Schweißdrüsen, daher das Suhlen im Schlamm.
Jein: Katze Stubbs ist mit 21 Jahren und nach 20 Jahren Amtszeit als Bürgermeister leider 2017 verstorben.
Schön, dass es noch Wahrheiten gibt. Neben den gefühlten Tatsachen, Meinungen und Irrtümern des Alltags. Jetzt müssen wir Sie nur noch herausfiltern.
Chief Behavioral Officer gesucht
Wo werden täglich Managemententscheidungen getroffen, die immer noch vom logisch handelnden Menschen ausgehen? Wo können Sie diese Woche selbst ein Chief Behavioral Officer sein?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
Wenn Sie uns Tipps oder Feedback senden möchten, dann schicken Sie uns eine E-Mail an redaktion@cbo.news. Vielen Dank.