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Guten Morgen. Starten wir gemeinsam in diesen Dienstag. Denn wie immer gilt auch heute wieder: "Es ist durchaus möglich, sowohl rational als auch falsch zu sein."
Beziehung und Austausch
Am Marmeladenstand am Weihnachtsmarkt sind die Proben ausgestellt: Bedienen Sie sich! Sehen Sie es als Geschenk! Es gibt keinen Kaufzwang.
Das macht ein Geschenk aus: Man bekommt, ohne Gegenleistung zu geben. Nur ist es das wirklich so? Hier ist das Geschenk klar eine Tauschware. Die Probe ist eine Vorleistung, damit wir als Menge aller Kunden im Gegenzug etwas kaufen.
Sind etwa alle Geschenke so gedacht? Als Austausch von Waren? Oder gibt es da noch eine andere Dimension? Warum schenken wir?
Um was es geht
Sie kennen es als Verkaufstrick, wie oben beschrieben. Eine kleine Vorleistung des Produkts lädt ein, das ganze zu kaufen. Das ist auch ein Prinzip, das hinter Social Media Präsenzen laufen sollte. Man gibt eine Arbeitsprobe und wird dann eingekauft. Der Fachbegriff aus der Ökonomie ist dann Signaling. Als Verkäufer gibt man ein Zeichen für die Qualität, für die das Produkt steht. Wir wissen, wie gut es ist und geben den Beweis direkt aus. Proof of concept: oder eben Proof of Quality.
Oft erhalten wir aber willkürliche Geschenke, die oft nichts mehr mit dem eigentlichen Produkt zu tun haben. Sie haben sicher auch einen Kugelschreiber oder ein anderes kleines GiveAways von Messen. Auch hier ist die Absicht klar: Sieh mich an! Nimm das Ding und nutze es. Denn je öfters man etwas sieht, desto besser finden wir s (Mere Exposure haben wir ja bereits kennengelernt). Dass es nur selten noch in Bezug zum Produkt steht, lässt einen doch aufhorchen.
Was ich bekomme hat ja nichts mit dem eigentlichen Produkt zu tun.
Und wieder zieht auch ein anderer Effekt: Wenn man etwas bekommt, möchte man etwas zurückgeben. Das ist das Grundprinzip der Reziprozität. Und dieses Prinzip ist so relevant, wir könnten im CBO Nugget eine eigene Reihe dazu machen. Auftauchen wird es sicher immer wieder mal.
Wenn der Nikolaus Schokolade in Stiefel schmuggelt, ist das schon schwieriger einzuordnen. Historisch behaupten manche ja: es wäre eine Gabe des Bischofs, der das heimlich nachts getan hat, um anonym die Not zu lindern. War es gelebte Nächstenliebe oder eben doch ein Akt zur Missionierung?
Wenn es die Nächstenliebe war, geht es wohl um die eigenen Wertvorstellungen. Machen wir es, um uns selbst eine Freude zu bereiten? Neulich las ich dazu den Begriff Helfer-Rausch. Neurologisch scheint das etwas dran zu sein: Schenken schüttet auch Dopamin aus und macht ein positives Gefühl. Das erklärt, warum wir auch anonymes Spenden. Man ist ja ein guter Mensch, wenn man etwas gibt.
Sowieso zeigen sich hier zwei wichtige Elemente: Um Schenken zu können muss man genug haben, um etwas geben zu können. Der eigene Wert zeigt sich daran, wie groß und teuer die Geschenke sind, die man eben gibt. Schenken kann also Statussymbol sein, ein Zeichen von Reichtum. Denken Sie einmal an Benefizkonzerte und die Plakette der Sparkasse an so manchem Kunstwerk.
Und es signalisiert Macht bis hin zur Abhängigkeit: wenn ein Geschenk so reich ist, dass man es nicht erwidern kann, muss zumindest symbolisch ein Ausgleich geschaffen werden. Zum Beispiel durch Dankeskarten. Bei der Fuggerei in Augsburg ist es neben dem Euro Jahresmiete drei tägliche Gebete, die als Ausgleich geleistet werden müssen. Immerhin wird der Ausgleich direkt ermöglicht und bleibt nicht als unangenehme Schuld in Gedanken.
Wenn Eltern das Schenken übernehmen, ist das vielleicht auch ein bisschen so. Nur taucht auf einmal das goldene Buch auf, in dem die braven und die unartigen Kindern gelistet sind und ganz genau steht, wer denn was verdient hat. Geschenke waren so lange Zeit pädagogisches Mittel. Mach was man sagt und du kriegst was, wenn nicht, gibt s die Rute. Die klassische Konditionierung mit Zuckerrohr und Peitsche lässt grüßen. Das Prinzip Belohnung steht nicht mehr zweifelsfrei im Raum. Einerseits, weil vorhersehbare Vergütung möglicherweise die intrinsische Motivation töten könnte (siehe Romans Artikel zu Belohnung). Andererseits, weil Verstärkerpläne bekanntermaßen intermittierend nachhaltiger sind.
Es öffnet sich auf einmal das Spektrum „Geschenke“ in ihrer dunklen Seite.
Rechtlich sind Schenkungen in Deutschland natürlich geregelt. Wie so vieles. Als Alternative zur Vererbung, als Geschäftskundengeschenk bis hin zum Gehaltsbonus in Form eines Weihnachtsgeschenks. Ab einer bestimmten Größe hat wohl jedes Unternehmen Compliance Regelungen. Natürlich nur damit niemand in Versuchung kommt aus Versehen Steuern zu hinterziehen.
Wir kommen in den Bereich des Spendens und Stiftens. Man nehme die Bill & Melinda Gates Stiftung oder der Patagonia Chef, der sein Unternehmen verschenkt. Der „Giving Pledge“ ist wunderbar. Schwierig ist dabei, dass vom altruistischen Geben bei ein wenig Recherche oft auch nur White- (oder Green-) Washing bleibt. Mancher ahnt Steuervermeidung und Pseudo-Vergesellschaftung . Da die USA nun aber weniger Sozialstaat sind als Deutschland, hat Spenden auch einen anderen Stellenwert. Es ist eine Notwendigkeit, um die Ärmsten zu versorgen.
Gerade interkulturell wird es spannend: Geschenke, insbesondere Staatsgeschenke sind da oft Symbol. Es geht um Frieden und Verbundenheit. Man denke an die Freiheitsstatue oder das Bernsteinzimmer (das sogar zweimal). Vielleicht ist da ein wenig Reziprozität ja gut für den Frieden und passend zum Antreiben von Handel.
Nehmen wir die WM Vergabe in Katar oder der Aserbaidschan Affäre kommt ein anderer Aspekt hervor. Was wir als korrupt bezeichnen, scheint anderswo (z.B. in FIFA Management Kreisen) kulturell angemessen. Entwicklungshilfe hat dieses Thema oft. Und auch Firma braucht gelegentlich ein erstaunliches Geschenkebudget bei internationaler Arbeit, das im Grund nur für Bestechung besteht.
Und es geht auch in die andere Richtung: nehmen sie Japan als Land des Schenkens. Es gibt durchschnittlich 26 Anlässen im Jahr. Und passend dazu Formalien der Rituale, die von kurios bis inspirierende Fettnäpfchen bieten.
Geschenke können auch als Kriegstaktik eingesetzt werden. Dafür gibt es sogar ein eigenes Wort: Danaergeschenk. Das trojanische Pferd kennen Sie - dass es in Nordamerika unter den Natives auch zu Ruin geführt hat, ist für manche vielleicht neu. Die Kultur des sich-gegenseitige-im-Schenken-übertrumpfen ging sogar so weit, dass das rituelle Potlach zeitweise verboten werden musste.
Die Kuriositäten zum Thema kann man mit einem besonderen Geschenk abschließen: das an die Götter. Opfergaben machen so gar keinen Sinn, wäre da nicht die Erwartung von Milde und eben einer Göttergnade als Geschenk.
Warum das wichtig ist
Geschenke sind ein wichtiges kulturelles Element im menschlichen Miteinander. Als CBO sollten Sie sensibel sein für die Kulturen, in denen Sie sich bewegen.
Geschenke erzeugen ein Gefühl von notwendiger Gegenleistung, das unangenehmen Druck, aber auch langanhaltende Beziehung schaffen kann.
Achten Sie daher auf folgende Elemente:
Der Anlass: Feiertage, Jubiläen, besondere Ereignisse. Von Weihnachten und Kirschblütenfest, über die 20 Jahre Zugehörigkeit zur Firma und Geburtstag, von Hochzeit über Vortrag. Es gibt viele Gründe: historisch zum Beispiel Winter als Zeit des Mangels vor dem noch einmal Güter so gut verteilt werden, dass alle versorgt sind.
Welche Anlässe sind Ihnen bewusst?
Welche Normen (Regional, Branche, Firma, Nationalitäten) sollten Sie kennen und beachten?
Und gibt es vielleicht auch außerplanmäßige Momente, die Sie für ein Geschenk mit extra Überraschungseffekt nutzen können? (Jahrestage wie der erste Kauf bei Ihnen, oder wöchentliche Zufallslose aus den Stammmitarbeitern)
Hilfreich ist ein Jahreskalender, ein Blick auf Lebensphasen und ein investigativer Plausch in der Kaffeeküche.
Die Beziehung: Handelspartner haben eine andere Beziehung als Familie. Bei ersterem geht es um Transaktionen, bei letzteren um die Beziehung selbst. Dazwischen gibt es viele Schattierungen: Freunde, Kollg:innen, Mitarbeiter:innen, sogar KeyAccounts. Geschenke sind ein Weg diese Beziehungen zu vertiefen. Die Beziehung entscheidet ob Geschenke überhaupt angemessen oder sogar erwartet werden. Ein Geschenk dass sich der Beschenkte gewünscht hat zeigt, wie sehr man sich mit der Person auseinandergesetzt hat. Passt es so gar nicht ist die Freude auch geringer.
Wer beschenkt wen? Gibt es eine Hierarchie in den Möglichkeiten?
Wie steht man zu einander? Was wissen Sie über die Wünsche des Empfängers und was möchten Sie von oder über sich preisgeben?
Wollen Sie die Beziehung auf einem Niveau von Geben und Nehmen belassen oder investieren Sie eine langfristige Beziehung darüber hinaus?
Das Geschenk: „the medium is the message“. Von Kuli über Aufkleber, von der Produktprobe bis hin zum Erlebnisgutschein. Eine Forschergruppe hat einzelne Aspekte von Schenker, Geschenk und Beschenkten zusammengefasst:
lieber etwas praktisch nutzbares als kurzfristig hedonistisches,
lieber einen individuellen Wunsch erfüllen als nur überraschen,
lieber Eigentum als Symbole.
Symbolen und Aberglaube werden besonders Tür und Tor geöffnet. Daher gitl Vorsicht walten zu lassen: Verschenke keine Messer, das wäre Gewalt, die man schenkt. Und keine Schuhe, sonst läuft der Beschenkte davon. Und bei Blumen kann Farbe und Gattung tausend Dinge ausdrücken – wenn man es denn weiß.
Neben Materiellen ist hier auch Kreativität möglich: symbolisches, gemeinsame Zeit, freie Zeit, Produktprobe oder Event. Inspiration kann hier auch die „Sprachen der Liebe“ bringen. Denken sie daran: es soll dem Beschenkten gefallen und nicht direkt im Müll landen.
An diese Vorbereitungen schließt sich dann der eigentliche Akt an. Auch der will geplant sein.
Das Ritual: der Soziologe Marcel Mauss beschreibt den Dreiklang Schenken, Annehmen und Gegengeschenk. Es ist sozusagen ein Gesellschaftsvertrag der Naturvölker: man gibt ohne direkt etwas zurück zu verlangen, da man sich sicher sein kann es später (oder indirekt) eben doch etwas zurückbekommt. Das ist das Prinzip der Reziprozität. Es ist eine soziale Norm, die unser Leben und Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht.
Der Akt des Hin und her entwickelt sich dabei immer weiter:
Ist die Übergabe öffentlich auf der Bühne oder privat unter vier Augen? Oder ganz anonym?
Werden materielle Werte explizit, implizit oder gar nicht kommuniziert? Muss das Geschenk überschwänglich angepriesen oder bescheiden klein geredet werden?
Wie steht es um das Annehmen, Auspacken und Reagieren? Still und im Nachhinein oder vor der begeisterten Menge? Nimmt man es direkt an oder sagt erst dreimal nein? Darf man ein Geschenk überhaupt ablehnen? Rituelle Zurückweisung ist in manchen Kulturen (insbesondere Orientalischen) üblich, in anderen ein Faux-Pas.
Wie ist das mit dem Ausgleich: dem Gegengeschenk? Steht es direkt an und ist ein Geschenketausch? Oder gibt man mit Verzögerung zu einem späteren Anlass zurück? Wird ein Ausgleich materiell oder symbolisch erfolgen? Und wie können sie den Druck herausnehmen?
Unterm Strich
Mir riet mal jemand die Marmeladen am Weihnachtsstand gar nicht erst zu probieren. Das sorgt nur für diesen unangenehmen Druck etwas zu kaufen. Denn ja: man ist nicht in einer Beziehung mit dem kleinen Laden aus der Region. Aber vielleicht kann man es ja als Anlass nehmen eine Beziehung aufzubauen, zu pflegen oder zu vertiefen.
Chief Behavioral Officer gesucht
Schenken Sie dieses Jahr etwas? Was schenken Sie Ihren Kunden und was Ihren Mitarbeiter:innen? Gestalten Sie die Übergabe bewusst? Wie zahlt es auf die Beziehungen ein? Und wie könnte es noch gestaltet werden? Oder ist es doch nur ein Ritual und die Gegenwerte zumindest implizit klar?
Wir sehen uns kommenden Dienstag.
Wenn Sie uns Tipps oder Feedback senden möchten, dann schicken Sie uns eine E-Mail an redaktion@cbo.news. Vielen Dank.